In der Sonderschule
viel gelernt
FUrsula Ammann ür eine Woche kehrte Silvio
Oberholzer dem Wirtschaftsstudium
und seinem Berufsalltag
auf der Bank den Rücken zu.
Stattdessen widmete er sich verhaltensauffälligen
Kindern und
Jugendlichen. Ein «Blickwechsel»,
den er jederzeit wiederholen würde
– trotz brenzliger Situationen.
Vor ihm tut sich der Blick auf das
hügelige Appenzellerland auf. Hinter
ihm glänzt der Zwiebelturm des
Sonderschulheims Bad Sonder. Silvio
Oberholzer steht auf dem Sportplatz
neben dem Pausenhof. Hier, etwas
oberhalb des Dorfes Teufen, hat er
im Februar mit den Jugendlichen des
Wohnheims Fussball gespielt – trotz
Schnees. Das war nur eine von vielen
Aufgaben, die der Betriebswirtschaftsstudent
der FHS St.Gallen übernehmen
durfte. Eine Woche verbrachte
er im Bad Sonder, einem Lern- und
Wohnort für Kinder und Jugendliche
mit Verhaltensauffälligkeiten. «Ich
konnte von Anfang an dabei sein und
mithelfen», sagt Silvio Oberholzer. So
hat er zum Beispiel mit einer Wohngruppe
gekocht und einem Schüler im
Matheunterricht die direkte und indirekte
Proportionalität erklärt. Einmal
gestaltete er selbst eine Trainingseinheit
im Sportunterricht. Ein Erlebnis,
an das sich der FHS-Absolvent besonders
gut erinnert. Noch heute ist er
überrascht vom Verhalten der Jugendlichen:
«Zu Beginn des Trainings bat
ich sie, ruhig zu sein, sobald ich zweimal
in die Hände klatsche», erzählt
er. «Das hat tatsächlich funktioniert.»
Was ein «Hey Bro» bewirken kann
Doch nicht immer verlief alles so geordnet.
Einmal – es war in der Pause –
bekam Silvio Oberholzer mit, wie zwei
Schüler aufeinander einprügelten.
«Ich ging dazwischen», sagt er. Auch
die Sozialpädagogen waren schnell zur
Stelle. Vor ihrer Arbeit hat Oberholzer
grossen Respekt: «Sie müssen auf
unerwartete Situationen angemessen
reagieren können», so der 24-Jährige.
Dazu gehöre viel Feingefühl, denn hinter
den Verhaltensauffälligkeiten der
Kinder und Jugendlichen stünden oft
negative Erfahrungen in der Vergangenheit.
Diese Geschichten zwar ernst
zu nehmen, aber sie nicht zu nah an
sich heranzulassen, sei bestimmt eine
Schwierigkeit in diesem Berufsfeld,
sagt Oberholzer. Er selbst empfand es
zudem als herausfordernd, für klare
Rollenverhältnisse zu sorgen. «Manchmal
begrüssten mich die Jugendlichen
mit ‹Hey Bro›», erzählt er. «Da fällt es
schwer, nicht auf eine kollegiale Ebene
zu rutschen.»
Im Bekanntenkreis von Silvio Oberholzer
arbeiten einige im Sozialbereich.
Ein Grund, weshalb er sein Teilzeitstudium
in Betriebswirtschaft und
seinen Job auf der Bank für eine Woche
ruhen liess, um sich den Jugendlichen
im Bad Sonder zu widmen. Die
Möglichkeit dazu bot ihm das Modul
«Blickwechsel», das vom Career Center
der FHS St.Gallen angeboten wird.
Im Bad Sonder ist Oberholzer schon
der Dritte, der im Rahmen dieses Moduls
den Betriebsalltag kennenlernte.
Thomas Schwemer, Gesamtleiter des
Sonderschulheims, sagt: «Alle Studierenden
waren ernsthaft bei der Sache
und sind gut vorbereitet hierher gekommen.
» Gegangen seien sie jeweils
mit ganz neuen Erkenntnissen und
Sichtweisen. «Eine Woche im Sonderschulheim
hinterlässt nachhaltig Eindruck
und kann auch das Verständnis
für Menschen wecken, bei denen
nicht immer alles gradlinig verläuft»,
so Schwemer.
Silvio Oberholzer hat nicht zuletzt
eine neue Sicht auf die Soziale Arbeit
gewonnen. «Ich hatte zwar nie Vorurteile
», sagt er. Aber seine Bewunderung
für jene, die in diesem Bereich
tätig seien, habe zugenommen. Er
selbst bleibt seinem Fachgebiet, der
Wirtschaft, treu. Der 24-Jährige kann
sich aber gut vorstellen, in Zukunft etwas
Soziales in Form von Freiwilligenarbeit
zu machen.
WEITERE INFORMATIONEN:
www.fhsg.ch/careercenter
Erkenntnis – Blickwechsel
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SUBSTANZ
/careercenter