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Gerechtigkeitsgesichtspunkt gegeneinander
abwägen und keine
Partikularinteressen verfolgen
kann.
Beat Steiger: Die ethische Forderung
nach Zukunftsgerechtigkeit
meint ja u.a. auch, dass die aktuell
Pensionierten sich für die zukünftig
Pensionierten einsetzen
sollen. Haben Sie hier konkrete
Vorschläge?
Ruth Baumann-Hölzle: Hierzu
braucht es Organisationen wie
den SVS. Verantwortliche Alterspolitik
reduziert sich jedoch nicht
auf reine Interessenpolitik für alte
Menschen, sondern nimmt differenziert
eine ganzheitliche Perspektive
ein, indem auch die Perspektiven
der jungen Generationen
berücksichtigt werden.
Beat Steiger: Sie unterscheiden
in Ihrem Referat auch zwischen
dem Bedarfs- und dem Bedürfnisanspruch
der Menschen. Unter
Bedarfsanspruch fassen Sie die
Sicherung
des alltäglichen Lebens
zusammen, also die Stillung der
existenziellen Grundbedürfnisse
wie Hunger und Durst, aber auch
Krankenversicherung, Kleidung,
Wohnen und die Ermöglichung
sozialer Kontakte. Vertreten Sie
den Standpunkt, dass ein Staat
dafür zu sorgen hat, dass dieser
Bedarfsanspruch für alle, für Arm
und Reich, gestillt ist? Sind wir in
diesem Bereich in der Schweiz
gut unterwegs?
Ruth Baumann-Hölzle: Ja, den
Bedarfsanspruch stellt ein humaner
Staat für alle sicher und er
befähigt
alle Menschen, über den
Bedarf hinaus, auch ein gutes
Leben
führen zu können. Auch bei
uns nimmt die Einsamkeit enorm
zu. In der Schweiz sind wir im Vergleich
zu anderen Staaten hinsichtlich
der Bedarfsdeckung gut
unterwegs. Im Bereich der Befähigung
zum guten Leben haben wir
Handlungsbedarf. Zudem haben
wir viele dunkle Bereiche, die ausgeleuchtet
werden müssten.
Beat Steiger: Unter dem Begriff
«Bedürfnisanspruch» verstehen
Sie den «Anspruch auf Aktivitäten
des guten Lebens». Ist damit gemeint,
dass alle in ihrem individuellen
Streben nach einem glücklichen
Leben eigenverantwortlich
unterwegs sein sollen, dass also
der Staat nicht ein glückliches
Leben
garantieren kann, nur für
Glücksbedingungen im Sinne der
Erfüllung von Bedarfsansprüchen
zu sorgen hat?
Ruth Baumann-Hölzle: Dies trifft
auf Menschen zu, die dies auch
können. Deshalb ist der Staat verantwortlich
dafür, die Menschen,
insbesondere die Kinder, dazu zu
befähigen. Wer aber selber nicht
dazu in der Lage und unfähig ist,
sich ein gutes Leben zu ermöglichen
aufgrund von Beeinträchtigungen,
hat Anspruch darauf,
dass der Staat diesen Menschen
hilft, ihre Bedürfnisse zu stillen
über den alltäglichen Bedarf hinaus,
wie dies etwas Martha Nussbaum
vertritt.
Dr. theol. Ruth Baumann-Hölzle
ist Institutsleiterin der Stiftung Dialog
Ethik (www.dialog-ethik.ch)
Zur Entwicklung einer Sorgekultur,
vgl. das Beispiel im Kreis Düren,
Nordrhein-Westfalen
(www.in-sorge.de)
Martha C. Nussbaum: Fähigkeiten
und Behinderungen, in: Nussbaum,
M.C.: Die Grenzen der Gerechtigkeit.
Behinderung, Nationalität
und Spezieszugehörigkeit.
Berlin 2010, S. 218 – 309.
/www.dialog-ethik.ch
/www.in-sorge.de