25 Jahre Freisinnige Das politische Umfeld bei der Gründung der UFS 1993
2
Es ist interessant, aus einer Distanz von 25 Jahren auf das politische
Umfeld zurückzublicken, das bei der Gründung der Umweltfreisinnigen
(damals Umweltliberale Bewegung des Kantons
St.Gallen, abgekürzt ULSG) herrschte.
In den 1970er- und 1980er-Jahren begann
der Umweltschutz eine immer grössere Rolle
zu spielen. Die Atomreaktorkatastrophe von
Tschernobyl 1986, die überraschende Annahme
der Rothenturm-Initiative für einen umfassenden
Moorschutz, die Annahme der Alpeninitiative
zur Limitierung und Verlagerung des
alpenquerenden Güterverkehrs, die Annahme
der milliardenschweren NEAT-Vorlage und die
Annahme der Bahn und Bus 2000-Vorlage waren
überdeutliche Zeichen, dass der Umweltschutz
zum zentralen Anliegen der Bevölkerung
geworden war. Leider aber versandeten in der
FDP die sehr guten Ansätze einer liberalen Umweltpolitik,
wie sie beispielsweise von NZZ-Redaktor
Fritz Schiesser und vom St. Galler FDPNationalrat
Ruedi Schatz engagiert vertreten
wurden.
Umweltfreisinnige entfalten Dynamik
Hier wollten die Umweltliberalen einen Kontrapunkt
zur FDP-Politik setzen. Ihr Vorbild war die
Jungliberale Bewegung (JB), die im 20. Jahrhundert
wesentlich zur Erneuerung der FDP beitrug.
Die ULSG (heute UFS) entwickelte in den
Anfangsjahren eine grosse Dynamik.
Grosse Schlagzeilen machte beispielsweise
die Ablehnung einer überdimensionierten Erschliessung
der Alp Flis im Toggenburg (am
Anlass wurde man fast handgreiflich). Aufsehen
erregte das Gutachten von ULSG-Mitglied
Reto Zingg zum geplanten Waffenplatz Neuchlen-Anschwilen. Er
zeigte darin auf, dass der von linken Kreisen bekämpfte Waffenplatz
für die Ökologie eine grosse Chance sei. Weiteren Schwung
brachte die Teilnahme an den Nationalratswahlen 1995 mit einer
eigenen Liste (6 Frauen und 6 Männer).
Europäisches Schicksalsjahr 1989
Für die Gründungszeit der Umweltfreisinnigen spielte das Jahr
1989 eine zentrale Rolle. Es war das Jahr des Falls der Berliner
Mauer. Darauf folgte der Zusammenbruch der Sowjetunion und
hiermit das Ende des Kalten Krieges. Damit waren grosse Hoffnungen
auf neue Märkte und neue demokratische Gesellschaften
im Osten verbunden. Leider erfüllten sich die Hoffnungen
nur teilweise. Die anfängliche Euphorie wich in der Schweiz bald
einer Ernüchterung. Anfang der 1990er-Jahre platzte die Immobilienblase
und 1991 begann der zweite Golfkrieg. Das führte in
Am 11. Mai 1993 trafen sich im Hotel Ekkehard in St. Gallen 101
liberal gesinnte Personen, um eine politische Bewegung zu gründen.
Es waren Menschen, denen der Landschafts- und Umweltschutz
ein grosses Anliegen war. Menschen, die vom ersten Umweltgipfel
1992 in Rio aufgerüttelt worden waren und die dort
vorgeschlagene "Agenda 21" in der kantonalen und regionalen
Politik verankern wollten.
der Schweiz statt zum erwarteten Boom zur schärfsten Rezession
nach dem 2. Weltkrieg.
Wenn sich eine Rezession mit politischen Umbrüchen paart,
dann ist das die Stunde der Populisten und
Vereinfacher. Die SVP verstand es als einzige
Partei glänzend, die Verunsicherung in politische
Erfolge umzumünzen. Themen wie Arbeitslosigkeit
und wirtschaftliche Rezession
überlagerten in den 1990er-Jahren alle andern
politischen Fragen. Die Umweltpolitik, Kernanliegen
der UFS, verschwand temporär aus der
politischen Agenda.
Umweltschutz wird wieder zentral
Erst mit der wirtschaftlichen Erholung, der
vollen Personenfreizügigkeit ab 2007 und
mit der Reaktorkatastrophe im japanischen
Fukushima 2011 wurde der Umwelt- und
Landschaftsschutz über Nacht wieder zum
brennendsten Thema. Innert kürzester Zeit
wurde die Energiewende beschlossen und
Landschaftsschutz-Anliegen fanden plötzlich
und unerwartet Volksmehrheiten: Annahme
des Raumplanungsgesetzes; Annahme Zweitwohnungsinitiative;
Annahme der Kulturlandinitiative
Kanton Zürich; Raumplanerische
Wachstumsbeschränkung im Kanton Zug; Keine
Ausdehnung der Siedlungsfläche im Kanton
Zürich; Revision eidgenössisches Raumplanungsgesetz
mit Beschränkung der Bauzonen
und Vorgaben zum verdichteten Bauen.
So zeigt sich seit der Gründung der Umweltfreisinnigen
folgendes: Umwelt-, Energie-,
Verkehrs- und Landschaftsschutzanliegen sind
zu dominanten Themen der eidgenössischen
Politik geworden sind. Auf diesen Feldern wird die Schlacht der
Zukunft geschlagen.
Johannes Rutz, Flawil, Gründungspräsident Umweltfreisinnige
Johannes Rutz, Gründungspräsident UFS
Johannes, würdest du diese Bewegung
heute gründen, wenn es sie nicht gäbe?
«Ja, denn insbesondere junge urbane
Wähler erwarten angesichts der 'Bedrohungslage'
von einer bürgerlichen Par tei
ein wesentlich stärkeres Engagement im
Landschaftsschutz, bei der Biodiversität
und bei einer liberalen Umweltpolitik.»