Milch/Eier/Honig ׀ Imp 625 / Exp 731
Getreide ׀ Imp 1.216 / Exp 806
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das ist hier die Frage
zeugen lassen - Brotgetreide, Kartoffeln und Fleisch - beträgt
der Selbstversorgungsgrad gegen 100%, bei Milch sogar
deutlich mehr. Allerdings müsste der Fleischkonsum drastisch
reduziert werden, denn Futtermittel- und Mastkükenimporte
würden dann wegfallen. Und auch für die Pflanzenproduktion
wären innovative Lösungen gefragter denn je.
Ist urbane Nahrungsmittelproduktion die Lösung?
2050 werden rund 2 Mrd. Menschen mehr zu ernähren sein
als heute, 70% davon werden in Städten wohnen. Bereits
heute sind Kultivierungsflächen begrenzt, das für die Landwirtschaft
benötigte Frischwasser ist knapp, die Transportwege
sind lang. Kann Indoorproduktion von Lebensmitteln helfen
diese Herausforderungen zu meistern?
Ja, sagte Andreas Reimann vom Fraunhofer-Institut in Aachen
anlässlich einer digitalen Feierabendveranstaltung der UFS.
Vertikale Landwirtschaft in Hochhäusern werde ab 2030 die
Branche im selben Mass verändern, wie ab 1940 die Industrialisierung
und ab 1990 die Gewächshauskultivierung. Lebensmittel
würden dann möglichst ökologisch und effizient vor Ort
angebaut werden, das bedeutet minimale Transportwege,
ganzjährige Produktion, hohe Erntefrequenz, regulierbare
Pflanzenqualität, 50% weniger Düngereinsatz, keine Pestizide,
keine Kontaminationen, sichere Ernte, minimaler Wasser- und
Landverbrauch. Nachteilig wirken sich Investitionskosten und
Energieverbrauch aus.
Salat vom Fliessband
Der Beitrag des Fraunhofer-Instituts sind OrbiLoop und Orbi-
Plant, zwei automatisierte Systeme, die quasi am Fliessband
Pflanzen produzieren. Vorne gibt man Samen hinzu und hinten
erntet man Salat. Nach 20 Tagen wiegt so ein Salatkopf 180 g,
auf 23 m2 können 30 Salate pro Tag geerntet werden. Besonders
effizient und platzsparend wirken sich die Schlaufen und
der Kreislauf der Systeme aus. Tatsächlich gibt es schon einige
Lizenznehmer. Ein OrbiLoop könnte schon bald in der Migros
Ihres Vertrauens stehen und dort vor Ort frische Peterli produzieren.
Die so produzierten Pflanzen wachsen ohne Erde und ohne
Sonnenlicht. Kann eine Pflanze die wichtigen sekundären
Pflanzenstoffe trotzdem bilden? Bis jetzt sind keine Nachteile
bekannt, es wird intensiv geforscht. Vorderhand wird mit
Freilandsaatgut gearbeitet. Der Entwicklung von spezifischem
Saatgut steht nichts im Weg. Mit der lückenlosen Kontrolle
der Umgebungsparameter können Geschmacks-, Inhaltsstoffe
und Konsistenzeigenschaften optimal beeinflusst werden.
Innenraumpflanzenproduktion
"Vorreiter" für Stadtlandwirtschaft sind Farmen und Gewächshäuser
auf Flachdächern. Dachfarmen rentabel zu betreiben,
ist nicht einfach. Die Schweizer Firma „Urban Farmers“
wollte auf Hochhäusern in Basel, Den Haag und Wallisellen in
gewächshausähnlichen, hochtechnischen Produktionsanlagen
mit einer ausgeklügelten Kombination von Pflanzenbau und
Aquakulturen Cherrytomaten, Salat und Tilapia-Buntbarsche
produzieren. Sie ist an den hohen Produktionskosten gescheitert.
Vertikale Farmen existieren mittlerweile vor allem in
Asien. Nach sechs Jahren profitabel war die gigantische Anlage
der Firma „Spread“ in Kyoto, die 21‘000 Salatköpfe pro Tag
produziert. Noch im Konzeptstadium ist die „Wolkenfarm“ in
St.Pölten, die die Pflanzen ins Sonnenlicht rotieren lassen will.
Die meisten erfolgreichen urbanen Landwirtschaftsprojekte
produzieren Salate und Kräuter. Davon wird die Weltbevölkerung
leider nicht satt. Was kann noch angebaut werden? In
den Systemen des Fraunhofer-Instituts ist die Länge der Pflanze
der limitierende Faktor. Erfolgreich ausprobiert haben es
die Forscher mit kleineren Früchten, Wurzelgemüse, Erdbeeren,
Buschtomaten, Medizinalpflanzen und Zierpflanzen. Auch
Weizen könnte im Innenraum effizienter angebaut werden,
allerdings gilt: Je energiedichter eine Pflanze ist, desto höher
ist der Energiebedarf in Form von Licht. Darum wird auch an
Lichthybridsystemen geforscht, die Kunst- und Sonnenlicht
kombinieren. Man
versucht, die Stoffkreisläufe
zu schliessen
und erneuerbare
Energien zu nutzen.
Nicht zu unterschätzen
sind auch die
logistischen Herausforderungen.
Für
Fleisch/Fisch ׀ Imp 1.599 / Exp 88
Früchte/Gemüse ׀ Imp 2.428 / Exp 103
eine wirtschaftliche
Massentauglichkeit
muss die Produktion
von energiedichten
Lebensmitteln zu
konkurrenzfähigen
Preisen gelingen.
Import/Export von
Und Tiere?
Nahrungsmitteln
Auch über Tierzucht
2019 in Mio CHF
in den Städten denken
(Bundesamt für
die Visionäre einer
Statistik)
neuen Landwirtschaft
nach. "Pig-City", Anfang der 2000er-Jahre in Rotterdam geplant,
hätte ein gigantischer Schweinestall mit 40 Etagen und einem
Schlachthof im Erdgeschoss werden sollen. Der Aufschrei der
Bevölkerung liess das Projekt in der Schublade verschwinden.
Bereits in Betrieb sind achtgeschossige "Hog-Hotels" im Süden
Chinas, in Planung ist ein Hochhaus mit 13 Etagen: Auf 11
Hektar Fläche sollen 30'000 Säue gehalten und jährlich 840'000
Ferkel produziert werden. Eine artgerechte Haltung ist so nicht
möglich, auch für Hühner sind vertikale Farmen keine Option.
Allenfalls könnte man Würmer und Insekten auf diese Art im
grossen Massstab industriell produzieren.
Stirbt der Bauernstand aus? Vertical Farming, Indoor Farming,
Urban Farming – es ist noch lange nicht soweit, dass die konventionelle
Landwirtschaft ersetzt werden kann. Eine Kombination
verschiedenster Konzepte ist eine Weiterentwicklung
und sollte als Chance angesehen werden, nicht als Bedrohung.
Andrea Klinger