Weniger Kleider Innovative Naturfasern
Die Modeindustrie ist weltweit eine der grössten
Umweltverschmutzerinnen. Herstellung,
Pflege und Entsorgung von Bekleidung hat
grosse Auswirkungen auf Treibhausgas- und
Mikroplastikemissionen, Wasserverbrauch und
-verschmutzung, Boden- und Waldzerstörung
und erzeugt letztlich Mülldeponien epischen
Ausmasses. Baumwolle, Wolle, Leder, Seide,
Viscose, Polyester, Nylon, Elastan – alle heute
vorwiegend verwendeten Materialien haben
mindestens einen hochproblematischen Aspekt.
Nachhaltige Mode versucht die Umweltemissionen
in Grenzen zu halten. Sie ist aber deutlich
teurer als die sogenannte „Fast-Fashion“.
Unproblematische Naturfasern wie Leinen
und Hanf, wiederentdeckte Fasern wie Seetang
und Nesseln, exotische Produkte aus Abfallmilch
und Kaffeesatz oder Lederersatz aus
Apfeltrester und Ananas werden von einigen
Modelabels bereits eingesetzt. Letztlich sind
das aber Nischenprodukte und auch nicht immer
nachhaltig.
Brennnessel statt Baumwolle?
Was es braucht, sind wirtschaftlich interessante
Alternativen. An solchen wird an der
Hochschule Luzern - Abteilung Design&Kunst
- durch ein Team der Forschungsgruppe
Produkt&Textil unter der Leitung von Andrea
Weber und Tina Moor intensiv geforscht. Das
von ihnen aufgebaute Spinnerei-Labor, das von
der Hulda und Gustav Zumsteg-Stiftung grosszügig
unterstützt wird, kann für Spinnereiexperimente
und Kleinproduktionen genutzt
werden. Das Team um Tina Moor untersucht
zurzeit die Nutzung von Fasern aus Bananenstauden
und solche aus Brennnesseln.
Frau Moor, können Sie uns
Näheres zu den Forschungen über
diese beiden Naturfasern sagen?
Im laufenden, von der Zürcher Stiftung für
Textilforschung, ZSFT, unterstützten Projekt
geht es uns darum, mit der überall wachsenden
Grossen Brennnessel zu arbeiten.
Die Erforschung der Nutzung der Fasern ist
Gemeiner Lein (Linum usitatissimum)
ist eine alte anspruchslose
Kulturpflanze, auch Flachs
genannt. Sie liefert Leinsamen,
Leinöl und Leinen, eine kühlende,
strapazierfähige, langlebige
Faser. Zu den wichtigen
Flachsanbaugebieten gehören
Belarus und Ukraine.
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nur ein Teil einer ganzheitlichen Betrachtung
dieser Pflanze: Die Blätter werden für
Nahrung, Futter, medizinische Produkte und
Dünger verwendet, die Samen geerntet und
aus den Stängeln die Fasern entnommen. Die
Reste kommen als Mulche wieder in den Boden
zurück. Allerdings ist der Faseranteil der
Gemeinen Brennnessel ungleich niedriger als
derjenige von gezüchteten Brennnesseln, die
zum Ziel haben, den Faseranteil mehr als zu
verdoppeln.
Bastfasern sind entsprechend ihren Aufgaben,
nämlich dem Stengel Halt zu geben, dick
und widerspenstig und müssen mühsam extrahiert
werden. Bei der Banane werden die
nassen Pflanzenreste aus den Blattschäften
mechanisch entfernt und hernach getrocknet,
ähnlich wie bei Sisal. Fasern aus Bananenstauden
eignen sich eher für Teppiche. Bei
der Brennnessel ist der Prozess vergleichbar
mit der Röste von Leinen auf dem Feld, die
aber immer direkt abhängig ist vom Wetter.
Seit drei Wochen haben wir die einmalige Gelegenheit,
in unserem Spinnerei-Labor diverse
Natur- und Recyclingfasern auf ihre Verspinnbarkeit
im kleinen Rahmen zu prüfen.
Mit diesen Zwischenschritten von den handwerklich
über die maschinell verarbeiteten
kleinen Fasermengen soll überprüft werden,
in welchem Massstab es möglich und sinnvoll
ist, die Prozesse hochzuskalieren. Dabei arbeiten
wir immer mit bestehenden Maschinen,
denn noch investiert niemand in neuartige.
Kann die Brennnessel
ein Ersatz für Baumwolle sein?
Es braucht auf jeden Fall Alternativen zur
Baumwolle: Sie braucht viel Wasser, was
in Zukunft ein rares und noch wertvolleres
Gut sein wird, das Land für den Anbau ist
beschränkt und konkurriert mit dem Anbau
von Nahrungsmitteln. Deshalb gibt es viele
Das Spinnerei-Labor der Hochschule Luzern – Design & Kunst unter der
Leitung von Andrea Weber und Tina Moor ist für diverse Fachpersonen
und Studierende zugänglich und soll sich langfristig als ein Zentrum für
Natur-, Zellulose- und rezyklierte Fasern etablieren. Das Labor besteht
aus sieben Maschinen, die zu einer kompakten Kleinspinnanlage aufgebaut
werden. Die Forschungsgruppe Produkt & Textil will ihre Pionierrolle
für Nachhaltigkeit im Textilbereich weiter festigen und ausbauen.
Im Spinnerei-Labor soll es möglich sein, die Prozesse von den Fasern bis
zur textilen Fläche in Lehre und Forschung zu erleben, sie mit externen
Partnern zu erforschen, in praktische Anwendungen zu überführen und
dank Kleinproduktionen auch für den Markt zugänglich zu machen.
Die G rosse B rennnessel ( Urtica d ioica) w urde
schon zu Urzeiten vielfältig genutzt. Das Start-up
swissnettle.ch, dessen Projektpartner unter anderen
das SpinnereiLab und die Mosaik Landwirtschaft
AG sind, baut ein kreislauforientiertes Brennnessellieferkettenmodell
auf. www.swissnettle.ch
/swissnettle.ch
/www.swissnettle.ch