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Soziales
HEIMAT UND LIEBE
EINE KURZE LIEBESGESCHICHTE
Erzählung einer Bewohnerin des
Panorama Parks Küsnacht:
Mein Name ist Elisabeth Hohl. Heute bin ich
82 Jahre alt und lebe in der Nähe von Zürich
in einer Wohnresidenz für ältere, wohlsituierte
Menschen. Ursprünglich stamme ich aus einer
gutbürgerlichen St. Galler Familie – eine Tochter
aus gutem Haus sozusagen.
Ich wuchs in einer behüteten Umgebung auf,
auch wenn ich kein inniges Verhältnis zu meinen
Eltern hatte. Meine Kindheit war geprägt vom katholischen
Geist der Stadt St. Gallen. Ich erinnere
mich zum Beispiel, dass an katholischen Feiertagen
die Schaufenster der Geschäfte geschlossen
wurden. Bei uns in der Familie wurde an diesen
Tagen «Demut zelebriert».
Auf einem Familienausflug ins Zürcher Oberland
lernte ich 1948 Hans Baer kennen. Wir wurden
damals vom Regen überrascht und der liebenswürdige
junge Zürcher bot an, uns in seinem
Citroën
2CV zur nächsten Station mitzunehmen.
Meinen Eltern schien dies nicht standesgemäss
und sie lehnten das Angebot ab.
Ich aber, jung und abenteuerlustig, stieg ein und
verliebte mich.
Meine Eltern duldeten die Situation solange, bis
Hans ernst machte und um meine Hand anhielt.
Ich muss dazu sagen, dass Hans nach einem
Flugzeugabsturz, den er nur knapp überlebte,
zahlreiche Verstümmelungen an den Fingern
und Zehen davontrug. Ein verkrüppelter Mann,
dazu ein Zürcher und protestantisch, das passte
definitiv nicht ins Bild meiner Prestige orientierten
Familie.
Mein Vater schrieb Hans einen Brief und befahl
ihm, von seiner Tochter abzulassen. Befolgten
wir diesen Befehl? Natürlich nicht. Die einzige
Konsequenz war, dass wir uns von nun an heimlich
treffen mussten.
Hilfe erhielten wir schliesslich von Herrn Baer
senior.
Er fuhr nach St. Gallen und redete mit
meinem
Vater: «Lass uns eine grosse Hochzeit
feiern!», meinte er. Doch er stiess auf taube
Ohren.
Wir heirateten trotzdem. Es gab ein wunderschönes
Fest mit sieben Kutschen und allem, was damals
dazu gehörte. Wir feierten am Rumensee;
gespiesen wurde im Hirschen in Obermeilen.
Danach
ging es auf Hochzeitsreise an den Vierwaldstättersee.
Meine Familie blieb der Hochzeit fern.
Es dauerte nicht lange und wir waren zu dritt. Mit
meiner Tochter Petra fuhren wir zu meiner Mutter.
Mit den Worten «Ich will diesen Goof nicht sehen
» schlug sie uns die Tür vor der Nase zu.
Hans konnte die Situation nicht ertragen und
schrieb einen Brief an meine Eltern. Von da an
war Hans der Liebling meiner Mutter. Was in dem
Brief stand? Ich habe es nie erfahren.
Sowohl mein Mann als auch meine Eltern schwiegen
darüber.
Warum erzählen wir hier diese
Geschichte?
Was hat sie mit dem Thema
«Heimat im Alter» zu tun?
Frau Baer ist keine Imigrantin und keine Asylantin.
Trotzdem hat sie einen damals nicht ganz
üblichen Schritt gewagt und hat in jungen Jahren
gegen den Willen ihrer Familie ihre Heimat
zugunsten ihrer grossen Liebe verlassen, einen
Entscheid,
den sie nie bereut hat.
Dank ihrem Mann und ihrer Tochter konnte sie in
Zürich neue Wurzeln schlagen, eine neue Heimat
finden. Dabei half ihr auch die sichere finanzielle
Situation, die ihr Mann ihr und ihrer gemeinsamen
Tochter bieten konnte.
Das Wort Integration war damals weitgehend
unbekannt. Und doch musste Frau Baer sich in
der neuen Umgebung zurechtfinden und sich da
und dort den Zürcher Gegebenheiten anpassen.
Mit ihrer offenen und herzlichen Art und ihrem
ehrlichen Interesse an ihren Mitmenschen fiel ihr
das aber leicht. Ihr Ostschweizer Dialekt, den sie
bis heute beibehalten hat, wirkte deshalb bei ihr
auch nie fremd; er gehört einfach zu ihr.
Auch mit 82 Jahren empfindet sie Zürich als ihre
Heimat. Auf sie passt noch im hohen Alter das
Zitat des römischen Malers und Schriftstellers
Pacuvius: Wo es Dir gut geht, dort ist die Heimat.
Sascha Gisin
Geschäftsleitungsmitglied
Spezialgebiet Hotellerie