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Eva Soom Ammann
ist Sozialanthropologin und
Professorin am Departement
Gesundheit der Berner
Fachhochschule BFH. Sie
lehrt und forscht unter
anderem zum Umgang mit
Diversität in der stationären
Langzeitpflege und beschäftigt
sich damit, wie Organisationen
und Fachpersonen
pflegerische Praxis und
Interaktionsbeziehungen
mit Bewohnenden im Alltag
gestalten können.
Minou Afzali
ist Professorin am Institute
of Design Research der
Hochschule der Künste
Bern HKB und Forschungsleiterin
am Swiss Center
for Design and Health. Sie
forscht zur Rolle des Designs
in Gesundheitskontexten,
unter anderem zur Wirkung
von Raumgestaltung in
Alterseinrichtungen und
Spitälern.
Erfahrung, die in Alltagsgesprächen thematisiert
werden kann. Auch der Einbezug von Bewohnenden
bei der Erstellung von Bildern (bspw. Fotos
eines gemeinsamen Anlasses oder Bild einer
gemeinsamen Aktivität) kann dazu beitragen,
dass Bilder in den gemeinschaftlich genutzten
Bereichen keine stereotypen Darstellungen wiedergeben,
sondern auf der Basis gemeinsamer
Verhandlungsprozesse entstehen. Bewohnende
können so daran beteiligt werden, wie ihr neues
zuhause gestaltet wird, und das tut Möglichkeiten
auf, zuhause, Zugehörigkeit und damit auch
Heimat
interaktiv zu verhandeln.
Heimat verhandeln über pflegerische
und alltagsgestaltende Praxis
Damit die Gestaltung des Heimes als individuelles
und kollektives zuhause, wo sinnvoll oder nötig,
verhandelt werden kann, braucht es eine kompetente
und flexible Praxis der Mitarbeitenden.
Heime sind nun mal kein privates zuhause, sondern
ein durch organisationale Strukturen und
im Alltag handelnde Fachpersonen bestimmtes
kollektives Zusammenleben und -arbeiten. Die
Gestaltungsmacht der Mitarbeitenden ist darin
gross. Neben den vielen routinierten Arbeitsabläufen
im Heimalltag ist es deshalb hochrelevant,
dass Mitarbeitende den Bewohnenden Mitgestaltungsmöglichkeiten
geben und sich dabei immer
wieder auf Aushandlungen und gemeinsames Gestalten
von Situationen einlassen. Dies kann sowohl
in der individuellen pflegerischen Interaktion
wie auch in kollektiven Zusammenhängen, im
Alltag oder in speziellen Aktivitäten, stattfinden.
Und es muss nicht ständig stattfinden – doch bieten
sich im Alltag immer wieder Momente an, die
Verhandeln und gemeinsames Gestalten zulassen
und die von Mitarbeitenden mehr oder weniger
proaktiv genutzt werden können.
Das Pflegepersonal kann somit bei der Verhandlung
davon, was Heimat ist, eine wesentliche
Rolle spielen. Zum einen kann es Bewohnende
dabei unterstützen, sich die privaten und gemeinschaftlich
genutzten Bereiche mit den oben
genannten räumlichen Massnahmen anzueignen,
ja sie sogar aktiv mitzugestalten. Zum anderen
können sie individuelle Bedürfnisse und Vorlieben
der von ihnen betreuten Personen erkennen
und in ihrer Pflegepraxis berücksichtigen. Zentral
ist hier jedoch das Element des Verhandelns: Ob
Bezüge auf eine zurückliegende Heimat für Bewohnende
relevant sind oder nicht und wie diese
inhaltlich besetzt sind, ist kein statisches Kriterium,
sondern wandelt sich und ist je nach Situation
und Gefühlslage unterschiedlich ausgeprägt.
Deshalb gibt es keine einfachen, schematischen
Lösungen für den pflegerischen und alltagsgestaltenden
Umgang mit Menschen und ihren
Heimatbezügen. Es gibt aber sehr wohl vielfältige
Möglichkeiten, Bezugnahmen auf Heimat zu
thematisieren und darüber Zugehörigkeit und
Geborgenheit zu verhandeln, an Vergangenes
anzubinden und anschlussfähig an die Gegenwart
zu machen. Bezugnahmen auf Heimat können
bei Bewohnenden nostalgisches Schwelgen
in schönen Erinnerungen der Vergangenheit sein,
sie können Gemeinsamkeiten und Verschiedenheiten
in der Gegenwart spielerisch verhandeln,
sie können aber auch Ausdruck von Verunsicherung
oder von einem Gefühl der Nicht-Zugehörigkeit
im Hier und Jetzt sein. Insbesondere
dann – wenn eine Sehnsucht nach Heimat Ausdruck
von Unsicherheit und Unzufriedenheit mit
der Gegenwart ist – kann sorgfältiges Sondieren
durch die Fachpersonen Pflege und Betreuung,
ob die Bewohnenden ihr gegenwärtiges Lebensumfeld
als sicheres, Geborgenheit bietendes zuhause
erleben oder nicht, Sinn machen. Ebenso
können Gespräche über die Vergangenheit und
darüber, was dort als Heimat empfunden wurde,
Anknüpfungspunkte bieten, um das Hier
und Jetzt gemeinsam zu gestalten und damit zu
einem zuhause, einer neuen Heimat zu machen.
Solche Verhandlungen können verbal oder nonverbal
sein, sie können bspw. über Gespräche
erfolgen, welche auf Biografien und das Erleben
von zuhause darin eingehen. Sie können aber
auch über sinnliche Eindrücke erfolgen, den Einbezug
in Essenszubereitung bspw., über Klänge
oder haptische Impulse. Vielleicht ist auch die
Einbindung von Angehörigen in die Alltagsgestaltung
hilfreich, das gemeinsame Sprechen
über Sinnfragen und Transzendenz, oder – wenn
Sprechfähigkeiten eingeschränkt sind – das Handeln
bspw. beim Ausführen kleiner Rituale oder
beim Herrichten einer Speise.