Fachartikel
HEIMAT IM ALTER
LEBENSRÜCKSCHAU UND ALLTAGSGESTALTUNG
Was ist Heimat eigentlich?
«Heimat» erweist sich, wenn man dem Begriff
auf den Grund geht, als schwierig zu fassen. Das
hat damit zu tun, dass Heimat mehr mit Gefühlen
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und Beziehungen zu tun hat als damit, wo
Heimat geografisch ist. Heimat ist für uns eine
emotionale Assoziation zu einem Ort, zu einem
Zuhause, wo wir herkommen, wo wir gross geworden
sind. Wir verbinden damit Gefühle der
Geborgenheit, Sicherheit und Zufriedenheit, und
wir haben sinnliche Assoziationen zu Gerüchen,
Geschmäckern, Geräuschen, Melodien, Dingen
und Menschen. Heimat steht somit für eine emotionale
Beziehung zu einem Ort, zu dem wir uns
zugehörig fühlen und mit dem wir nicht selten
idealisierte Vorstellungen verbinden.
Dieses Gefühl der Zugehörigkeit zu einem Ort und
zu Menschen, die sich ebenfalls mit diesem Ort
verbunden fühlen, vermittelt Sicherheit. Und deshalb
– so bestätigen historische Analysen – gewinnt
Heimat in Zeiten von Unsicherheit an Bedeutung.
Wir sehnen uns dann nach der idyllischen,
vertrauten Heimat, die uns Geborgenheit verspricht.
Solche Verunsicherungen bilden mitunter
auch den Nährboden für politische Stimmen, die
diese Emotionen bedienen, indem sie Heimat als
gefährdet darstellen oder neue Heimat versprechen.
In Zeiten von Verunsicherung – historisch
bspw. die Industrialisierung, die Nationenbildung,
der Erste und Zweite Weltkrieg – erstarken
Heimat-Diskurse, und sie tun es gegenwärtig im
Kontext von Kriegen, Globalisierung, Digitalisierung,
Umweltgefährdung und Energiekrise.
Heimat und Migration
Die zunehmende globale Mobilität, die seit der
Nachkriegszeit auch die Schweiz zu einer heterogeneren
Gesellschaft macht, trägt dazu bei, dass
wir uns immer wieder Fragen nach Heimat stellen.
Menschen, die migrieren – aus der Schweiz
in andere Länder oder umgekehrt – schaffen sich
ein neues Zuhause, vielleicht tun sie dies mehrmals
in ihrem Leben. Sie bauen so Beziehungen
zu unterschiedlichen Orten auf, die ihnen Geborgenheit
und Sicherheit geben können, die ihnen
zum Zuhause werden. Und vielleicht verlieren
sie auch die Möglichkeit, Orte aufzusuchen, mit
denen sie Heimatgefühle verbinden. Dies betrifft
insbesondere Menschen, die aufgrund von Krieg,
Katastrophen oder Verfolgung migrieren.
Aus der Migrationsforschung wissen wir, dass Heimat
neu entstehen kann, indem sich Menschen
aktiv ein neues Zuhause schaffen. Somit kann
Heimat ein Ort sein, an dem wir uns jetzt gerade
zugehörig fühlen, ein Umfeld, in dem uns andere
das Gefühl geben, zu Hause zu sein. Heimat ist,
so können wir vorerst festhalten, eine emotionale
Beziehung zu einem Ort, aber eben auch eine
kollektiv geteilte Zugehörigkeit. Und gerade weil
Zugehörigkeit fragil ist und es nicht immer gleich
klar ist, ob wir dazu gehören, braucht es hierfür
soziale Aushandlung.
Wo ist Heimat im Alter?
Wie der Begriff Heimat zu Alter steht, dazu wissen
wir wenig aus der Forschung. Eines lässt
sich jedoch sagen: Auch das Alter selbst kann
potenziell verunsichern. Noch gestaltbare Lebenszeit
nimmt ab, und damit kann bedeutsam
werden, wo wir herkommen und wo wir hingehen.
Lebensbilanzierung und transzendente Fragen
(Was ist nach dem Tod? Wie ist unser Leben
über den Tod hinaus bedeutsam?) gehören zum
Altern dazu sowie der drohende Kontrollverlust
über Körper und Geist. Unabhängige Menschen
können im Alter abhängig werden – wir erleben
das in unserem Umfeld mit, und wir erfahren vielleicht
erste Anzeichen am eigenen Leib. Das kann
verunsichern und dazu führen, dass die Frage, wo
wir unsere Heimat haben, im Alter virulenter wird.
Kann das Heim zur Heimat werden?
Mit dem Alter, mit zunehmender körperlicher
Fragilität oder kognitiver Einschränkung wird es
wahrscheinlicher, dass man auf Hilfe angewiesen
ist und das eigene Zuhause nicht mehr selbstbestimmt
gestalten kann. Ein Heimeintritt kann
notwendig werden, man muss nochmal einen
neuen Lebensabschnitt beginnen und sich an
einem fremden Ort ein neues Zuhause schaffen.
Heimeintritte sind somit Momente, in denen sich
Fragen nach Absicherung, nach Geborgenheit
und nach dem eigenen Zuhause noch einmal
stellen. Dies bedingt eine Auseinandersetzung
damit, was Zuhause, Geborgenheit und damit
vielleicht auch Heimat (im Sinne einer idealisier-
Eva Soom Ammann
Forscherin und Dozentin
an der Berner Fachhochschule
BFH Dep. Gesundheit