
Bedeutung für die Pflege Der Gender Aspekt (die soziale Rollenzugehörigkeit
zu Frau oder Mann)
kann aus verschiedenen Perspektiven
betrachtet werden.
Aus beruflicher Perspektive wird
der Pflegeberuf auch heute noch als ein Frauenberuf
wahrgenommen. Nur ca. 15 % der Mitarbeitenden in
der Betreuung und Pflege im Langzeitbereich in der
Schweiz sind männlich, davon sind viele in Führungspositionen.
Hingegen ist die Mehrheit der Bewohnenden
in Langzeitinstitutionen weiblich. Was heisst das aber
nun für die Pflege? Wie können wir Bewohnende in
der Sinnfindung / Wahrnehmung als Frau beziehungsweise
Mann im Alltag unterstützen? Wie beachten und
schützen wir die Privatsphäre jedes Einzelnen?
In diesem Artikel versuche ich, einige Aspekte und Herausforderungen
aus dem Pflege- und Betreuungsalltag
aufzuzeigen, dies anhand einer Bewohnersituation:
Vor kurzem erhielt ich den Notruf einer Bewohnerin
aus einer unserer Aussenwohngruppen. An diesem
Tag wünschte sie gemäss Planung Unterstützung
beim Duschen. Wohl das erste Mal seit Bestehen der
Wohngruppe war keine weibliche Pflegeperson im
Frühdienst geplant. Für die Bewohnerin war es unvorstellbar,
die benötigte Unterstützung durch einen
männlichen Pflegenden zu erhalten. Aufgrund der für
sie ausgesprochen fordernden Situation war sie auch
nicht mehr in der Lage, ihre Bedürfnisse und Ängste
gegenüber einem Mann zu formulieren. Dies gelang
ihr erst mit mir als Frau. Eine Prüfung des Assessments
und der Pflegeplanung ergab, dass der Wunsch,
bei der Körperpflege nur von weiblichen Pflegenden
unterstützt zu werden, aufgenommen worden war. Mit
der Bewohnerin habe ich vereinbart, dass die Unterstützung
ausnahmsweise am Nachmittag erfolgt.
Dieses Beispiel zeigt, dass das Thema Gender sowohl
bei den Bewohnenden als auch bei den Mitarbeitenden
eine Relevanz im Pflegealltag hat. Offensichtlich
wird dies vor allem beim Thema Körperpflege, einem
für viele Bewohnende hochsensiblen Thema.
Aber auch bei sehr spezifischen Tätigkeiten, wie Frisieren
einer komplizierten Langhaarfrisur durch einen
Mann, die Bartrasur durch eine Frau oder die Begleitung
beim Toilettengang, zeigt sich das Thema Gender
sowohl aus Perspektive Bewohnende als auch aus der
Perspektive Pflege.
Das Respektieren der Wünsche von Bewohnerinnen
und Bewohnern und das Einhalten der Privatsphäre,
sei dies in der direkten Pflegesituation, z.B. durch
Sichtschutz in Mehrbettzimmern oder das Warten vor
der geschlossenen Toilettentür (sofern es die Situation
zulässt), sind genauso Grundvoraussetzungen, wie
das Anklopfen vor dem Betreten des Zimmers. Eine
Bewohnerin die sich z.B. umkleidet, möchte vielleicht
nicht gestört werden. Was bedeutet, dass nicht nur
geklopft, sondern auch auf eine Reaktion seitens des
Bewohnenden gewartet wird.
Die so vermeintlich verloren geglaubten Sekunden,
wie auch das manchmal als mühsam empfundene
Umplanen um, wie in oben gezeigter Situation eine
weibliche Pflegeperson einzusetzen, finden die Pflegenden
in zufriedeneren Bewohnenden, die sich ernst
genommen fühlen, mehr als kompensiert.
Ob diese Themen und Wünsche immer mit dem Gender
Aspekt zusammenhängen oder Bestandteil eines
respektvollen Miteinanders sind, bleibt offen. Wichtig
ist, die Wünsche der Bewohnenden zu kennen, Männer
und Frauen mit ihren jeweils unterschiedlichen
Rollen und Lebensgeschichten wahr- und ernst zu