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nehmen. Um die Gewohnheiten zu ermitteln eignen
sich das Pflegeassessment sowie die Biografiearbeit.
Die Gewohnheiten und Wünsche können dann in eine
sinnvolle Pflegeplanung einfliessen.
Ein anderes Bild zeigt sich oft im Bereich Bewegung.
Die ältere Dame, die von einem männlichen Pfleger
gestützt wird, strahlt und fühlt sich sicher. Demgegenüber
werden weibliche Pflegende, wenn sie zum
Beispiel einen grossen Mann mobilisieren gefragt, ob
sie genügend Kraft haben.
Aber auch Hintergrundwissen zum Thema Gender
ist wichtig. So zeigen Untersuchungen, dass Frauen
schmerzempfindlicher sind als Männer. Frauen schätzen
bei einem bestimmten Hitze- oder Druckreiz die
Schmerzintensität höher ein, halten den Schmerz weniger
lange aus und empfinden bereits niedrigere Reize
als schmerzhaft. Diese Schmerzempfindlichkeiten
müssen im Alltag berücksichtigt und beachtet werden,
um entsprechend reagieren zu können.
Um diesem Wissen im Betreuungs- und Pflegealltag
gerecht zu werden, bedingt es einer Kreativität in der
Alltagsplanung und im Einsatz der Mitarbeitenden. Vieles
spricht für durchmischte Pflegeteams. So können
Bewohnerinnen und Bewohner nach ihren Wünschen
betreut und gepflegt werden, andererseits können
vor allem sehr junge weibliche Mitarbeiterinnen beim
Start in die Berufskarriere unterstützt werden, mit der
in Intimpflegesituationen auftretenden männlichen Sexualität
umzugehen.
Dies bedingt eine bewusste Auseinandersetzung
in der Gestaltung des Alltages. Wieweit lassen wir
uns von institutionellen Zwängen leiten und wieweit
stehen die Bedürfnisse der Bewohnenden im Vordergrund.
Diese Frage ist auch bei uns immer wieder eine
herausfordernde und bedingt eine regelmässige Überprüfung
der Dienstpläne, des jeweiligen Grademixes
und der Alltagsplanung.
Ein weiterer Aspekt ist die Sprechweise. Männliche
und weibliche Sprechweise unterscheidet sich. Dies
zeigt sich bei den heutigen Jugendlichen, aber auch
bei den Bewohnenden. Die Generation, die derzeit in
Alterszentren wohnt, besteht zu einem grossen Teil
aus Frauen, die oft in delegierten Arbeiten tätig waren
und auch vom Rollenbild her dienend und ausführend
waren. Männer unterbrechen in Gesprächen häufiger,
behaupten vielleicht eher etwas, stellen in Frage und
kommunizieren in der Tendenz rücksichtsloser und direkter
als Frauen.
Genderspezifische Interessen zeigen sich auch in der
Alltagsgestaltung mit den Bewohnenden. So sind reine
Männergruppen wie zum Beispiel ein Stammtisch
oder eine Werkgruppe eine gute Möglichkeit, diesen
Interessen Rechnung zu tragen. Gleiches gilt für Sportarten
wie Fussball, Darts oder Kegeln. Bei uns finden
diese Angebote bei Männern eindeutig mehr Anklang.
Interessant ist, dass an unserer Rüstgruppe Männer
regelmässig anwesend sind.
Gender hat viele Facetten und hängt auch von der jeweiligen
Rolle ab. Wie gehe ich auf Frauen und Männer
zu? Stelle ich Fragen bei Frauen anders als bei Männern?
Mein persönliches Fazit bei der Auseinandersetzung
mit dem Thema ist, dass eine laufende Reflexion des
eigenen Verhaltens unabdingbar ist.
Judith Bywater
Geschäftsleitungsmitglied, Spezialgebiet Pflege