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RECHT & PRIVAT
Das Durcheinander ist komplett,
1-2018 mandat
Trifft der Eindruck zu,
dass jeder Kanton,
ja vielleicht sogar
jedes Gericht den
Betreuungsunterhalt
anders berechnet?
Es haben sich zwei Lager gebildet:
Nach der einen Auffassung
wird der konkrete Grundbedarf
der Betreuungsperson
ermittelt und ihrem effektiven
Verdienst gegenübergestellt;
darauf wird das verbleibende
Manko mit dem Betreuungsunterhalt
aufgefüllt. Nach der
anderen, auch vom Kantonsgericht
St.Gallen vertretenen
Meinung wird der Grundbedarf
für eine Wohnregion
pauschal festgesetzt; davon
wird je nach angenommener
Erwerbsquote, unabhängig
vom tatsächlichen Lohn ein
Anteil als Betreuungsunterhalt
bestimmt. Dabei schwanken
die Bedarfsansätze zwischen
2’500 und 3’500 Franken im
Monat. Ganz unterschiedlich
wird sodann auch die Frage
beantwortet, in welchem
Zeitpunkt einem allein betreuenden
Elternteil neben der
Familienarbeit eine Erwerbstätigkeit
zuzumuten sei – schon
ab dem vollendeten dritten
Lebensjahr des Kindes (wie in
Deutschland), beim Eintritt in
den Kindergarten, nach dem
Übergang in die Primarschule
oder wie bisher erst nach
dem zehnten Geburtstag des
Kindes. Damit ist das Durcheinander
komplett, und das
Bundesgericht wird es schwer
haben, Ordnung zu schaffen.
Bis heute hat es damit noch
nicht einmal begonnen.
Sie waren neben Ihrem
Richterberuf auch als
Dozent und Autor tätig.
Was hat Sie dazu gebracht?
Das Recht prägt mit Geboten
und Verboten unser ganzes
Leben. Überall – in Gesetzen,
Reglementen, Verträgen und
Verkehrssignalen – gibt es
Normenfallen, in die man blind
hineintappen kann. Eine Aufklärung
wäre dringend nötig.
Die Rechtskunde ist aber leider
kein Schulfach. Erwachsene
erwerben ihre Kenntnisse vor
allem aus Kriminalromanen, in
denen Detektive rechtsstaatliche
Prinzipien systematisch
missachten, und aus Gerichtsreportagen,
bei denen Journalisten
Gerichtsverhandlungen
wie Theaterstücke behandeln.
Mir war die Rolle eines Wissensvermittlers
stets wichtiger
als jene einer Autoritätsperson.
Ich träumte davon, dass die
Justiz ein Stück weit überflüssig
würde, wenn die Bürgerinnen
und Bürger nur genügend
informiert wären. Seit meinem
Rücktritt vom Richteramt habe
ich die Seiten gewechselt. Ich
sitze nun auf der Zuschauerbank
und schreibe für das
St.Galler Tagblatt Geschichten
über den zwar unspektakulären,
aber doch vielfältigen Alltag
der Gerichte.
Das Buch «Ehe Partnerschaft
Kinder», das
Sie zusammen mit der
renommierten Zürcher
Professorin Andrea
Büchler verfasst haben,
ist soeben neu erschienen.
An wen richtet sich
dieses Buch?
An sich ist es als Lehrbuch gedacht,
in dem die Studierenden
aber nicht zum Auswendiglernen
verleitet, sondern mit
kritischen Fragen zum selbständigen
Denken angeregt
Dr. h. c. Rolf Vetterli
ehemaliger Kantonsrichter
St.Gallen
werden sollen. Wir bezeichnen
es gerne auch als Lese- und
Arbeitsbuch, mit dem wir die
historische Entwicklung des
Familienrechts verständlich beschreiben,
das aktuelle Recht
anschaulich darstellen,
einen Blick über
die Grenze in andere
Rechtsordnungen
ermöglichen und
zum praktischen
Handeln, etwa bei
Verhandlungen oder
Kinderanhörungen
anleiten möchten.
Was ist das Besondere
an diesem Buch?
Wir haben uns vor allem bemüht,
den Stoff mit Übungsbeispielen,
Formulierungsmustern
und Berechnungstabellen
zu illustrieren. Das Buch enthält
zudem rund hundert Fallgeschichten,
weil wir überzeugt
sind, dass man in einer
Zeit, in der klare Leiturteile
immer häufiger durch reine
Ermessensentscheide ersetzt
werden, aus Einzelfällen am
meisten lernt. Dabei wird vor
allem auch die st.gallische Gerichtspraxis
berücksichtigt. Ich
habe gewissermassen einen
Teil des Buchs zwei Mal geschrieben
– zuerst in der Form
publizierter Urteile und hierauf
als Nacherzählung der eigenen
Fälle.
und das Bundesgericht
wird es schwer haben,
Ordnung zu schaffen. Bis
heute hat es damit noch
nicht einmal begonnen.