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RECHT & UNTERNEHMUNG
1-2018 mandat
den Verdacht sorgfältig abklären.
Das ergibt sich aus der Fürsorgepflicht
der Arbeitgeberin
gegenüber dem Arbeitnehmer
nach Art. 328 OR. Diese verpflichtet
die Arbeitgeberin, den
Arbeitnehmer in seiner Persönlichkeit,
namentlich in Bezug auf
dessen persönliche und berufliche
Ehre, zu schützen. Beschuldigt
die Arbeitgeberin den
Arbeitnehmer leichtfertig, wird
dessen Persönlichkeit verletzt.
Damit eine ordentliche Verdachtskündigung
nicht missbräuchlich
ist, muss sich die
Arbeitgeberin einerseits darum
bemühen, die im Raum stehenden
Vorwürfe zu prüfen.
Andererseits hat sie dem Arbeitnehmer
– je nach Schwere
der Vorwürfe – vor der Aussprache
der Kündigung eine
faire Chance einzuräumen seine
Sichtweise zu den Vorwürfen zu
äussern. Ohne Gewährung eines
solchen Anhörungsrechts
besteht die Gefahr, dass die
Kündigung missbräuchlich ist,
sofern sich später die Vorwürfe
als unzutreffend herausstellen
sollten. Bei einer missbräuchlichen
Kündigung endet das
Arbeitsverhältnis zwar mit Ablauf
der Kündigungsfrist, der
Arbeitnehmer kann von der
Arbeitgeberin jedoch eine Entschädigung
von bis zu sechs
Monatslöhnen verlangen.
Fristlose Verdachtskündigung
Das Arbeitsverhältnis kann aus
wichtigen Gründen fristlos gekündigt
werden. Als wichtiger
Grund gilt nach Art. 337 OR
jeder Umstand, bei dessen
Vorhandensein dem Kündigenden
nach Treu und Glauben die
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses
nicht mehr zugemutet
werden darf. Ein blosser Verdacht,
der Arbeitnehmer habe
eine Straftat (z.B. Spesenbetrug
oder Diebstahl) oder eine
schwere Pflichtverletzung (z.B.
Konkurrenzierung oder Manipulation
der Arbeitszeiterfassung)
begangen, kann dazu führen,
dass das Vertrauensverhältnis
zwischen den Parteien zerstört
ist und eine Weiterführung des
Arbeitsverhältnisses nicht mehr
zumutbar ist. Wenn ein solcher
wichtiger Grund vorliegt, ist es
entscheidend, dass die fristlose
Kündigung möglichst schnell,
d.h. innert 2–3 Arbeitstagen seit
Kenntnis des Grundes, ausgesprochen
wird. Ansonsten erfolgt
die fristlose Kündigung zu
spät und wird ungerechtfertigt
sein.
Die Arbeitgeberin spricht eine
fristlose Verdachtskündigung
aber auf eigenes Risiko aus
und muss in einem allfälligen
späteren Gerichtsverfahren beweisen
können, dass der Verdacht
berechtigt war. Kann das
Fehlverhalten später bewiesen
werden und erfüllt dieses die
Anforderung an einen wichtigen
Grund, der eine fristlose Kündigung
rechtfertigt, war die fristlose
Verdachtskündigung ohne
Weiteres zulässig. Kann das
verdächtigte Fehlverhalten später
aber nicht bewiesen werden,
so liegt grundsätzlich eine ungerechtfertigte
fristlose Kündigung
vor. Der Arbeitnehmer hat
in diesem Fall einen Anspruch
auf Schadenersatz im Umfang
des Lohnes bis zum Ablauf der
ordentlichen Kündigungsfrist
sowie auf eine Entschädigung
in Höhe von maximal sechs
Monatslöhnen.
Eine fristlose Verdachtskündigung
kann aber in zwei Ausnahmefällen
gerechtfertigt sein,
auch wenn sich der Verdacht
nachträglich nicht bestätigt.
Das ist einerseits der Fall, wenn
der Arbeitnehmer die Abklärung
des Verdachts treuwidrig behindert
oder verunmöglicht (z.B.
Vernichtung von Beweismitteln).
Andererseits ist eine fristlose
Verdachtskündigung auch
ohne späteren Nachweis des
Verdachts berechtigt, wenn die
Arbeitgeberin den Verdacht mit
allen zumutbaren Massnahmen
abgeklärt hat und der Verdacht
weiterhin besteht. Eine genügende
Abklärung in diesem
Sinne erfordert aber auch die
Anhörung des betroffenen Arbeitnehmers,
damit sich dieser
zum ihm vorgeworfenen Fehlverhalten
und Sachverhalt äussern
kann.
Dr. iur. Stefan Rieder
Rechtsanwalt und Notar
St.Gallen
Fazit
Hat eine Arbeitgeberin den Verdacht,
dass ein Arbeitnehmer
eine Straftat begangen oder
seine Arbeits- oder Treuepflicht
(schwerwiegend) verletzt hat,
steht regelmässig eine ordentliche
oder fristlose Kündigung
des Arbeitsverhältnisses zur
Disposition. Eine Kündigung
wegen Verdachts, egal ob ordentlich
oder fristlos, sollte
aber immer sorgfältig überdacht
werden. Kommt es später infolge
einer missbräuchlichen oder
ungerechtfertigten fristlosen
Kündigung zu einem Gerichtsverfahren
und der Verdacht
lässt sich nicht bestätigen,
dann sollte die Arbeitgeberin
gut dokumentiert sein und so
aufzeigen können, dass sie die
Verdachtsmomente mit zumutbaren
Massnahmen abgeklärt
hat und sich aufgrund des weiterhin
bestehenden Verdachts
zur Kündigung veranlasst sah.
Dabei ist es regelmässig auch
erforderlich, den betroffenen
Arbeitnehmer mit den Vorwürfen
zu konfrontieren
und ihm Gelegenheit
zu geben, sich
dazu zu äussern. Je
nach Art der Vorwürfe,
z.B. wenn gegen
einen Arbeitnehmer
Verdachtsmomente
in Bezug auf Straftaten, sexuelle
Belästigung oder Mobbing
bestehen, kann es sinnvoll sein,
dass ein unabhängiger externer
Rechtsanwalt die Vorwürfe
für die Arbeitgeberin möglichst
schnell, fair und vollständig untersucht.
Eine Kündigung wegen Verdachts
sollte immer sorgfältig
überdacht werden.