RECHT & UNTERNEHMUNG 
 «RECHT-ECK» Justizgeschichte 
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 Erscheinungsweise 
 2x pro Jahr 
 2-2019 mandat 
 Am  13.  Juni  2019  erhielt  der  
 St.Galler  Alt  Kantonsrichter  Dr.  
 h.c. Rolf Vetterli für seine über 70  
 Justizgeschichten, die seit 2012  
 regelmässig  im  St.Galler  Tagblatt  
 abgedruckt  wurden,  den  
 Anerkennungspreis des Schweizerischen  
 Anwaltsverbands.  
 Hierzu  möchte  der  St.Galler  
 Anwaltsverband  Herrn  Kollege  
 Vetterli ganz herzlich gratulieren  
 und  dankt  ihm  für  sein  journalistisches  
 Engagement.  Zu  seinen  
 Ehren  entschied  sich  der  
 St.Galler  Anwaltsverband,  eine  
 seiner  liebsten  Justizgeschichten  
 nochmals zu veröffentlichen.  
 Die  nachfolgende  Justizgeschichte  
 erschien  im  St.Galler  
 Tagblatt vom 17. Februar 2017. 
 Mit Pappschildern auf  
 grosser Fahrt 
 An einem Freitagabend, mitten  
 in der Stosszeit, reiste ein älteres  
 Ehepaar  mit  einem  Wohnmobil  
 beim  Grenzübergang  
 St.Margrethen  in  die  Schweiz  
 ein und wurde am Zoll herausgewinkt. 
   Schmuggelware  fand  
 der  Zöllner  keine.  Stattdessen  
 entdeckte  er,  dass  am  Campingwagen  
 Nummernschilder  
 aus  Karton  angebracht  waren.  
 Der  hinzugezogenen  Polizei  
 erzählten  die  Eheleute  eine  
 kuriose  Geschichte:  Sie  wollten  
 einen  alten  Traum  verwirklichen  
 und  planten  nach  der  
 Pensionierung  eine  Reise  im  
 eigenen  Wohnwagen  auf  der  
 berühmten  «Panamericana»  
 durch  ganz  Südamerika  –  von  
 Kolumbien bis nach Feuerland.  
 Dafür mussten sie viele Fragen  
 klären und unter anderem auch  
 überlegen, wie das Fahrzeug zu  
 versichern sei. Eine schweizerische  
 Autoversicherung  mit  der  
 grünen Karte gilt nur für die europäischen  
 Länder und die Anrainerstaaten  
 des  Mittelmeers,  
 aber  nicht  in  Amerika.  Kündigen  
 lässt  sie  sich  jedoch  nicht  
 ohne  weiteres,  weil  dann  auch  
 die Kontrollschilder abgegeben  
 werden müssen. 
 Clevere Weltenbummler erteilen  
 in  dieser  verfahrenen  Situation  
 folgenden  Rat:  Am  besten  sei  
 es,  «Duplikate»  anzufertigen  
 und  die  Originalschilder  zu  
 hinterlegen.  In  Europa  dürften  
 solche  Nachahmungen  freilich  
 nicht  benützt  werden,  sonst  
 gebe es grossen Ärger. In Südamerika  
 sei das aber überhaupt  
 kein Problem. Dort interessiere  
 sich  niemand  dafür,  ob  das  
 Auto  am  Herkunftsort  korrekt  
 gemeldet sei. Es genüge, einem  
 lokalen  Versicherungsagenten  
 den  Fahrzeugausweis  vorzulegen  
 und sich eine Haftpflichtpolice  
 ausstellen zu lassen. Dabei  
 könne eine  beträchtliche Summe  
 an  Prämien  und  Abgaben  
 gespart  werden.  Eine  solche  
 Entlastung der Reisekasse war  
 dem  Ehepaar  willkommen.  Es  
 blieb  nur  noch  die  Frage,  wie  
 man  sich  neue  Autokennzeichen  
 beschafft.  Dafür  gibt  es  
 heute  Online-Shops,  die  auch  
 ausgefallene Wünsche erfüllen:  
 Man  kann  Schilder  aus  Blech  
 stanzen  lassen  oder  sie  gleich  
 selbst  ausdrucken  und  auf  einen  
 Karton  kleben.  Die  beiden  
 Rentner entschieden sich offenbar  
 für eine billige Variante, die  
 dem amtlichen Muster nur von  
 weitem ähnlich sah. 
   
 Alle Anbieter weisen darauf hin,  
 dass die nachgemachten Schilder  
 nicht  in  Verkehr  gebracht  
 werden  dürften  –  das  sei  eine  
 Urkundenfälschung  und  die  
 werde streng bestraft. Die Warnung  
 wirkt  allerdings  ziemlich  
 scheinheilig  und  auch  etwas  
 oberflächlich.  Der  Missbrauch  
 von  Kontrollschildern  ist  hierzulande  
 ein  Strassenverkehrsdelikt: 
   Wer  ein  Schild  fälscht  
 oder  ein  gefälschtes  Schild  
 verwendet, muss mit einer Freiheitsstrafe  
 von bis zu drei Jahren  
 oder  mit  einer  Geldstrafe  
 rechnen.  Die  Eheleute  liessen  
 grosse  Vorsicht  walten.  Ein  
 Bekannter  begleitete  sie  nach  
 Hamburg, nahm die Nummernschilder  
 mit und deponierte sie  
 beim  Strassenverkehrsamt.  
 Dann setzte das Paar mit dem  
 Schiff  nach  Südamerika  über.  
 Hernach  war  es  fast  drei  Jahre  
 lang  auf  dem  Kontinent  unterwegs. 
   Es  reiste  durch  das  
 Hochland  der  Anden  und  das  
 Tiefland  des  Amazonas,  durch  
 die trockenste aller Wüsten und  
 die endlos weite Pampa bis zu  
 den blauen Gletschern Patagoniens. 
  Dabei fiel nie auf, dass ihr  
 Wohnwagen bloss mit Papptafeln  
 geschmückt war. 
   
 Das  machte  die  Reisenden  
 leichtsinnig.  Bei  der  Rückkehr  
 beauftragten  sie  zwar  ihren  
 Bekannten,  die  Versicherungsprämie  
 rechtzeitig  zu  bezahlen  
 und die Kontrollschilder wieder  
 einzulösen.  Sie  verzichteten  
 aber  darauf,  sich  die  richtigen  
 Kennzeichen  in  die  Hafenstadt  
 bringen oder schicken zu lassen  
 und  fuhren  mit  den  gewohnten  
 Kartonschildern  ungehindert  
 quer  durch  Deutschland.  
 Im  letzten  Moment  begegneten  
 sie  einem  aufmerksamen  
 Zollbeamten,  der  sie  aus  dem  
 unaufhörlichen  Pendlerstrom  
 herausfischte  und  ihr  Gefährt  
 ganz  genau  anschaute.  So  erfuhren  
 sie, was schweizerische  
 Gründlichkeit  bedeutet,  und  
 fühlten sich wohl gleich wieder  
 zu Hause. 
 Die  Zollkontrolle  hat  zur  Folge,  
 dass die Staatsanwaltschaft die  
 Ehefrau als Lenkerin des Wohnwagens  
 in einem Strafbescheid  
 zu  einer  bedingten  Geldstrafe  
 von  vierzig  Tagessätzen  und  
 einer  zusätzlichen  Busse  von  
 500  Franken  verurteilt.  Geahndet  
 wird  damit  nur  die  auf  
 Schweizer  Boden  begangene  
 Tat. Nachdem das Paar auf seiner  
 Reise viele Tausend Kilometer  
 anstandslos zurücklegte, hat  
 die Frau das unglaubliche Pech,  
 dass sie für eine Fahrt von wenigen  
 Metern ab der Grenzlinie  
 bis zur Zollbarriere bestraft wird.  
 Unverdientes  Glück  widerfährt  
 hingegen dem Mann, der zufällig  
 auf dem Beifahrersitz  sass,  
 und  weder  als  Mittäter  noch  
 als Teilnehmer belangt wird. Es  
 bleibt  zu  hoffen,  dass  er  wenigstens  
 die  Hälfte  der  Busse  
 übernimmt.  
 Rolf Vetterli, Dr. h.c.,   
 ehemaliger Kantonsrichter 
 
				
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