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zugeben. Auf Autobahnen und
Autostrassen mit mindestens
zwei Fahrstreifen in eine Richtung
muss neu eine Rettungsgasse
freigehalten werden, sobald
sich der Verkehr nur noch
mit Schrittgeschwindigkeit
bewegt oder sich im Stillstand
befindet.5 Mit dieser Regelung
soll gewährleistet werden,
dass die Rettungsgasse
spätestens dann vorhanden
ist, wenn die Fahrzeuge stillstehen.
Die Bestimmung gilt
auch, wenn kein Blaulichtfahrzeug
zu sehen oder zu hören
ist. Die Rettungsgasse ist bei
zweispurigen Strassen zwischen
den beiden Fahrspuren
zu bilden und bei dreispurigen
Strassen immer zwischen dem
äussersten linken und dem
mittleren Fahrstreifen. Das
Nichtbeachten wird mit einer
Ordnungsbusse von CHF 100
geahndet.6
Rechtsvorbeifahren
auf Autobahnen und
Autostrassen
Die wohl gewichtigste Änderung
mit den weitreichendsten
Konsequenzen erfuhr die Bestimmung
über das Rechtsvorbeifahren
auf Autobahnen
und Autostrassen. Bereits
vor dem 1. Januar 2021 war
das Rechtsvorbeifahren auf
Autobahnen und Autostrassen
beim Fahren in parallelen
Kolonnen erlaubt. Die ältere
bundesgerichtliche Rechtsprechung
setzte für parallelen
Kolonnenverkehr dichten
Verkehr auf beiden Fahrstreifen
voraus. Dies bedingte ein
längeres Nebeneinanderfahren
von mehreren sich in gleicher
Richtung und mit ähnlicher
Geschwindigkeit bewegenden
Fahrzeugreihen, wobei zusätzlich
der Abstand zwischen den
einzelnen Fahrzeugen ähnlich
gross sein musste.7 Im Jahr
2016 hat das Bundesgericht
die Definition des parallelen
Kolonnenverkehrs dahingehend
erweitert, dass er bereits
dann bejaht wurde, wenn es
auf der linken (und mittleren)
Spur zu einer derartigen Verkehrsverdichtung
kam, dass
RECHT & PRIVAT
Die Verengung beginnt auf
Höhe dieses Streifens, weshalb
dort bzw. unmittelbar
davor der Fahrstreifenwechsel
erfolgen sollte.2
Fahrzeuge auf der Stammachse
von Autobahnen und Autostrassen
geniessen Vortritt
gegenüber Fahrzeugen, die auf
die Autobahn oder Autostrasse
auffahren möchten. Diese
müssen eine genügend grosse
Lücke zum Einfädeln nutzen.
Bei stockendem Verkehr auf
der Stammachse, findet neu
auch bei Autobahnzufahrten
das Reissverschlussprinzip Anwendung.
3 Einfahrende Fahrzeuge
müssen bis ans Ende
des Beschleunigungsstreifens
vorfahren. Die Fahrzeuge auf
der Stammachse haben ihnen
nach den Bestimmungen über
den Reissverschlussverkehr
das Einfahren zu ermöglichen.
Durch die neue Regelung
soll verhindert
werden, dass
zu früh auf den verbleibenden
Streifen
gewechselt und der
Verkehrsfluss dadurch
gestört wird.
Der Verkehr soll nie
zum Stillstand kommen
und der Ziehharmonika
Effekt
gemildert werden.
Trotz dieser neuen Regelung
hat der einschwenkende Fahrzeugführer
keinen Vortritt und
darf die Lücke nicht erzwingen.
Im Zweifel muss er abbremsen
und warten. Um diese Situation
zu vermeiden, hat der Verkehrsteilnehmer
auf der weiterführenden
Spur rechtzeitig eine
ausreichend grosse Lücke zu
schaffen. Das Nichtbeachten
des Reissverschlussverkehrs
wird für beide Fahrzeuglenker
mit einer Ordnungsbusse von
CHF 100 sanktioniert.4
Rettungsgasse
Nach Art. 27 Abs. 2 SVG ist
beim Wahrnehmen der besonderen
Warnsignale den vortrittsberechtigten
Feuerwehr-,
Sanitäts-, Polizei- und Zollfahrzeugen
die Strasse sofort frei-
Fahrzeuge auf der linken Spur
faktisch nicht mehr schneller
vorankamen als diejenigen auf
der rechten.8 Für die Beurteilung
der Voraussetzung des
parallelen Kolonnenverkehrs
wurde seit 2016 auf eine Gesamtverkehrsbetrachtung
und
nicht den Vergleich der Fahrzeugabstände
auf den jeweiligen
Fahrbahnen abgestellt. Sie
führte in der Praxis nicht selten
zu unterschiedlichen Beurteilungen
ein- und derselben Verkehrssituation.
Zudem hat die
bisherige Regelung die Situation
des Kolonnenverkehrs nur
auf der Überholspur, bei normalen
Fahrzeugabständen auf
der Normalspur, nicht umfasst.
In jahrelanger Praxis haben
Gerichte und Strafbehörden
unzulässiges Rechtsvorbeifahren
und Rechtsüberholen
als erhebliche Verkehrsgefährdung
und grobe Verkehrsregelverletzung
beurteilt und
mit einer Freiheitsstrafe bis zu
drei Jahren oder Geldstrafe
bestraft. Die Administrativbehörden
stuften das unzulässige
Rechtsvorbeifahren und
Rechtsüberholen administrativrechtlich
als schweren Fall
mit einer Mindestentzugsdauer
des Führerausweises von drei
Monaten ein.9 Als Folge der
strafrechtlichen Einstufung als
grobe Verkehrsregelverletzung
hatte sich der Rechtsüberholende
bei einem Unfallereignis
grobe Fahrlässigkeit vorwerfen
zu lassen. Versicherungen
konnten gestützt darauf ihre
Leistungen kürzen.10
Durch die neue Regelung
soll verhindert werden,
dass zu früh auf den
verbleibenden Streifen
gewechselt und der
Verkehrsfluss dadurch
gestört wird.
2-2021 mandat
2 Erläuterungen des Bundesamtes
für Strassen ASTRA zur Änderung
der Verkehrsregeln und Signalisationsvorschriften
vom 10.12.2019 zu;
Art. 8 Abs. 5 VRV.
3 Art. 36 Abs. 4 VRV.
4 Anhang 1 Ziff. 306.4 Ordnungs-
bussenverordnung (OBV).
5 Art. 36 Abs. 7 VRV.
6 Anhang 1 Ziff. 328.3 OBV.
7 BGE 115 IV 244 E. 3; BGer
6S.71/2005 vom 3.6.2005 E. 3.2.
8 BGE 142 IV 93 E. 4.2.1.
9 Art. 16c Abs. 2 lit. a Strassen-
verkehrsgesetz (SVG).
10 Art. 14 Abs. 2 Versicherungs-
vertragsgesetz (VVG).