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RECHT & UNTERNEHMUNG
2-2021 mandat
qualifizieren. Vergleichbar mit einem
spezifisch für Gastronomiebetriebe
geltenden Rauchverbot
stellen sie betriebsbezogene
Umstände dar, die in die Risikosphäre
des Mieters fallen.14
Das Urteil des Zürcher Mietgerichts
vom 2. August 2021
stützt diese Ansicht und lehnt
einen Anspruch auf Herabsetzung
des Mietzinses wegen einem
Mangel an der Mietsache
mit der Begründung ab, dass
das Geschäft des Mieters nicht
Teil des Mietvertrags bildet. Eine
Übernahme des Betriebsrisikos
in die Risikosphäre des Vermieters
bedürfe einer besonderen
Abrede. Die angeordneten Ladenschliessungen
stellen einzig
betriebsbezogene Mängel dar.15
Anwendbarkeit der clausula
rebus sic stantibus
Wie bereits ausgeführt, lassen
die beiden dargelegten erstinstanzlichen
Urteile auf die grundsätzliche
Bejahung eines Mietzinsreduktionsanspruchs
unter
Anwendung der Rechtsfigur
der clausula schliessen.
Gemäss Rechtsprechung setzt
«ein richterlicher Eingriff in einen
Vertrag aufgrund veränderter
Umstände … voraus, dass
die Verhältnisänderung weder
vorhersehbar noch vermeidbar
war, … eine gravierende Äquivalenzstörung
zur Folge hat und
der Vertrag nicht vorbehaltlos
erfüllt wurde».16
Veränderte Umstände: Dass
sich die Umstände seit Vertragsschluss
durch den Eintritt
der Corona-Pandemie verändert
haben, ist zu bejahen. Ladenlokale
mussten geschlossen
werden und konnten nicht mehr
wie gewohnt genutzt werden.
Voraussehbarkeit: Grundsätzlich
muss bei längerfristigen
Verträgen stets mit Veränderungen
gerechnet werden.
Auch Gesetzesänderungen gelten
nicht als unvorhersehbar.17
Selbst wenn man aber argumentieren
würde, dass mit dem
Eintreten einer Epidemie oder
gar Pandemie stets gerechnet
werden muss, konnte man
wohl kaum mit dem Ausmass
der behördlichen Anordnungen
und den damit einhergehenden
Umsatzeinbussen rechnen.18
Vermeidbarkeit: Unter den Begriff
der Vermeidbarkeit fällt
auch die Überwindbarkeit eines
zukünftigen Ereignisses. Hiernach
fällt die Vertragsanpassung
ausser Betracht, wenn
eine Partei die Folgen der künftigen
Entwicklung hätte überwinden
können.19 Die Parteien
konnten weder mit den schwerwiegenden
Folgen der Corona-
Pandemie rechnen, noch hätten
sie Massnahmen zu deren
gänzlichen Überwindung treffen
können. Wenn auch beispielsweise
Restaurants Take-away-
Dienste anbieten können, führt
dies grundsätzlich nicht zur
Überwindbarkeit und Vermeidbarkeit
der Ladenschliessungen
und damit verbundenen Umsatzeinbussen.
Gravierende Äquivalenzstörung:
Die veränderten Verhältnisse
müssen eine schwere Äquivalenzstörung
auslösen. Können
die Räumlichkeiten infolge
staatlicher Anordnung gar nicht
oder nur noch teilweise genutzt
werden und kann somit
der Mieter keine oder lediglich
wenige Einnahmen erzielen,
erscheint die volle Bezahlung
des Mietzinses in der Regel als
unverhältnismässig. Beanspruchen
Geschäfte während der
Zeit der Betriebsschliessungen
staatliche Hilfe, zum Beispiel in
der Form von Kurzarbeitsentschädigung,
so ist dieser Umstand
bei der Beurteilung der
Äquivalenzstörung zu berücksichtigen.
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Keine vorbehaltlose Vertragserfüllung:
Möchten betroffene
Mieter die Anpassung des Vertrages
verlangen, dürfen sie den
Mietzins während der staatlich
angeordneten Schliessungen
lediglich unter dem Vorbehalt
der Vertragsanpassung tilgen.
Fazit
Im Grundsatz gilt, dass eine
vertragliche Regelung, mit welchen
der Vermieter ein Verwendungsrisiko
mit übernimmt, vor
anderen Rechtsfiguren Vorrang
geniesst. Besteht keine solche
Vereinbarung, stellt sich die
Frage der Rechtsgrundlage für
pandemiebedingte Mietzinsreduktionen.
Sie ist nicht ab-
14 Vgl. Urteil des BGH XII ZR 189/09
vom 13. Juli 2011, NZM 2011, 727
N 9.
15 Urteil des Mietgerichts Zürich
MJ210008-L (ZMP 2021 Nr. 10)
vom 2. August 2021 E. 4.4.
16 BGE 127 III 300 E. 5b S. 304 f.
17 BGE 127 III 300 E. 5b/aa) S. 305.
18 Vgl. BGE 48 II 252 wo das Bundesgericht
die wirtschaftlichen Umwälzungen
nach dem ersten Weltkrieg
für nicht voraussehbar hielt.
19 SEBASTIAN REICHLE/BERNHARD
STEHLE, a.a.O., Rz. 55.
20 Vgl. hierzu das Urteil des Mietgerichts
Genf C/9840/2020 vom
28. Juni 2021 E. 5d).
schliessend geklärt. Die ersten
Gerichtsentscheide lassen darauf
schliessen, dass die clausula
als Rechtsgrundlage des
Anspruchs auf Mietzinsreduktion
während des Lockdowns
anwendbar ist. Es zeichnet sich
weiter ab, dass die Anforderungen,
um eine gravierende
Äquivalenzstörung zu belegen,
sich als entscheidend erweisen
dürften. Die Rechtsfiguren der
unverschuldeten Unmöglichkeit
sowie der Anspruch auf Herabsetzung
wegen eines Mangels
an der Mietsache dürften im
Gegensatz zur clausula in den
hier interessierenden Fällen eher
nicht zur Anwendung kommen.
Dr. iur. Sebastian Reichle,
Rechtsanwalt und öffentlicher
Notar, St. Gallen
Dr. iur. Bernhard Stehle,
Rechtsanwalt und öffentlicher
Notar, St. Gallen