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2-2021 mandat
der beschuldigten Person (weiter)
geschwächt werden.
Zumindest was die soeben beleuchteten
Entwicklungen im
Gesetzgebungsprozess in Bezug
auf die Einschränkung des
Teilnahmerechts der beschuldigten
Person sowie das Haftbeschwerderecht
der Staatsanwaltschaft
betrifft, gehen diese
m.E. allerdings in die richtige
Richtung. Es bleibt zu hoffen,
dass der Ständerat dem Ruf
als «chambre de réflexion» gerecht
wird und dem Nationalrat
zumindest in diesen Punkten
folgt, aber zudem auch dem
ausufernden und grundsätzlich
ins Polizeirecht gehörenden
Haftgrund der qualifizierten
Wiederholungsgefahr Grenzen
setzt. Gleichermassen bleibt
insbesondere mit Blick auf
das Haftbeschwerderecht der
Staatsanwaltschaft zu hoffen,
dass das Bundesgericht dem
Gesetzgeber nicht erneut einen
Strich durch die Rechnung machen
wird.
THEMA
Präventivhaft – d.h. um eine sichernde,
polizeiliche Zwangsmassnahme
– handelt, welcher
damit einen Fremdkörper
innerhalb des Strafprozessrechts
darstellt18, hat sich die
RK NR gar mehrheitlich dafür
ausgesprochen, die bundesrätliche
Vorlage noch zusätzlich
zu verschärfen. So soll es
genügen, wenn eine ernsthafte
– nicht aber unmittelbare – Gefahr
der Wiederholung besteht.
Bedauerlicherweise ist der Nationalrat
diesem Antrag deutlich
gefolgt. Bedauerlich, weil
der Haftgrund der Wiederholungsgefahr
per se nur in untergeordneter
Weise Strafverfolgungszwecken
dient, sondern
überwiegend eine nicht in die
StPO gehörende präventive
und damit polizeiliche Massnahme
darstellt. Bedauerlich
aber auch deshalb, weil der
Wortlaut in Art. 221 Abs. 1bis
E-StPO zu unbestimmt ist. So
liegt es nicht nur im Ermessen
des Gerichts, was als schwere
Beeinträchtigung der Integrität
einer Person zu qualifizieren
ist, sondern auch, wann eine
Gefahr als «ernsthaft» gilt.19
2.4 Haftbeschwerderecht der
Staatsanwaltschaft (Art. 222
Abs. 2 und 226a E-StPO20)
Gemäss geltendem Recht hat
das Zwangsmassnahmengericht
(ZMG) die Kompetenz,
eine sich in Haft befindliche
Person zu entlassen (Art. 226
Abs. 3 StPO). Zudem hat nur
die verhaftete Person ein Beschwerderecht
gegen Haftentscheide
des ZMG (Art.
222 StPO), womit die EMRKrechtlich
vorgeschriebene
Haftentlassungskompetenz
des Gerichts (vgl. Art. 5 Ziff.
3 EMRK) gewahrt bleibt. Allerdings
stellte das Bundesgericht
bereits mit Entscheid
vom 17. Februar 2011 (!) fest,
dass die Nichterwähnung der
Staatsanwaltschaft in Art. 222
StPO als beschwerdeberechtigte
Partei nur ein gesetzgeberisches
Versehen sein könne
und führte das Beschwerderecht
der Staatsanwaltschaft
contra legem ein.21 Diese
Rechtsprechung des Bundes-
MLaw Rahel Müller*,
Rechtsanwältin,
imkp Rechtsanwälte
gerichts soll nun in die StPO
überführt werden (Art. 222
Abs. 2 E-StPO), wobei für die
Beschwerde der Staatsanwaltschaft
ein beschleunigtes Beschwerdeverfahren
gelten soll
(Art. 226a E-StPO).22
Das vorgesehene Haftbeschwerderecht
der Staatsanwaltschaft
und das damit zusammenhängende
Verfahren
führen allerdings zu einem
krassen Verstoss gegen Art. 5
Ziff. 3 EMRK. So hat das ZMG
keine unmittelbar wirkende
Haftentlassungskompetenz
mehr, muss doch die beschuldigte
Person vorläufig weiterhin
in Haft verbleiben, wenn die
Staatsanwaltschaft Beschwerde
gegen haftbeendende Entscheide
erhebt.
Die vorbeschriebene Problematik
wurde offenbar seitens
der RK NR erkannt, verlangte
deren Mehrheit doch nicht nur
die Streichung der vorgeschlagenen
Regelung, sondern die
Ergänzung von Art. 222 Abs. 1
StPO dahingehend, dass «einzig
die verhaftete Person» Beschwerde
erheben kann.23 Der
Nationalrat ist diesem Antrag
gefolgt. Auch hier bleibt die
Diskussion im Ständerat abzuwarten,
wobei der Nationalrat
zumindest ein ebenso klares
wie richtiges Zeichen dahingehend
ausgesendet hat, dass
der Verzicht auf ein Beschwerderecht
der Staatsanwaltschaft
eben kein gesetzgeberisches
Versehen darstellt, sondern ein
wohlüberlegter Entscheid der
Legislative im Lichte der konventionsrechtlichen
Vorgaben.
3. Ausblick
Man kann sich durchaus die
Frage stellen, ob ein nur gerade
zehnjähriges Gesetz bereits
einer Revision bedarf – dies gilt
umso mehr, als man bei Durchsicht
des Revisionsentwurfs
den Eindruck gewinnt, als sollte
die Revision fast ausschliesslich
der Stärkung der ohnehin
bereits stark ausgeprägten
Kompetenzen der Strafverfolgungsbehörden
dienen, während
die Verteidigungsrechte
18 Botschaft, S. 6742.
19 RUCKSTUHL/JEKER, a.a.O., S. 7 f.
20 Vgl. für den Wortlaut BBl 2019 6794 f.
21 BGE 137 IV 22, E. 1.2-1.4, bestätigt
in BGE 137 IV 87, E. 3.1.
22 Botschaft, S. 6715.
23 Übersicht Anträge RK NR, S. 28.
Dr. iur. Bernhard Isenring,
Rechtsanwalt,
imkp Rechtsanwälte
Meilen und St.Gallen