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RECHT & UNTERNEHMUNG
2-2021 mandat
cher Hinsicht führte das Gericht
aus, dass eine Vertragskorrektur
nach den Regeln der Teilunmöglichkeit
(Art. 119 OR)
oder eine Mietzinsminderung
(Art. 259d OR) nicht in Betracht
kommen. Hingegen erklärte es
bei zeitlich und sachlich besonders
schweren Auswirkungen
behördlicher Anordnungen eine
gerichtliche Vertragsanpassung
wegen wesentlich veränderter
Umstände unter strengen Voraussetzungen
für möglich. Im
zu beurteilenden Fall
hatte die Mieterin
der Geschäftsräume
nicht nachgewiesen,
inwiefern sich die
staatlich angeordneten
Massnahmen
der Gesundheitsbehörden
konkret auf
ihren Geschäftsbetrieb
ausgewirkt haben
und was sie unternommen
hat, um
die Auswirkungen zu
überwinden. Sie legte
insbesondere keine
Umsatzzahlen vor, die eine
gravierende Äquivalenzstörung
belegen würden.4
Anspruchsprüfung
Vorrang vertraglicher
Abreden
Zunächst ist jeweils zu prüfen,
ob die Parteien die Folgen
und Risiken von Nutzungsbeschränkungen,
wie sie sich
aus behördlichen oder gesetzgeberischen
Massnahmen zur
Bekämpfung einer Pandemie
ergeben, vertraglich geregelt
haben. Grundsätzlich liegt das
Betriebsrisiko beim Mieter. Eine
Zusicherung oder Risikobeteiligung
des Vermieters ist nicht
leichthin anzunehmen. Die
vertragliche Festsetzung des
Mietzwecks allein genügt regelmässig
nicht, um von einer
«Nutzungszusicherung» seitens
des Mieters auszugehen.5 Es
bedarf besonderer vertraglicher
Zusicherungen, damit der Vermieter
die finanziellen Folgen
des sich mit der Pandemie verwirklichten
Risikos (mit)trägt.6
Fehlt es an einer spezifischen
vertraglichen Abrede – was in
der Praxis die Regel sein dürfte
–, so ist abzuklären, ob gegebenenfalls
aus dem Gesetzesrecht
ein Senkungsanspruch hergeleitet
werden kann.
Kein Fall der unverschuldeten
nachträglichen (temporären)
Unmöglichkeit
Gemäss Art. 119 OR gilt eine
Leistung des Schuldners als
erloschen, wenn sie durch
Umstände, die der Schuldner
nicht zu verantworten hat, unmöglich
geworden ist. Gemäss
bisheriger bundesgerichtlicher
Rechtsprechung kommt eine
temporäre Unmöglichkeit nur
in Betracht, wenn sie mit Gewissheit
bis zum Vertragsende
bestehen bleibt oder zumindest
ihr Wegfall nicht abzusehen ist.7
Zum selben Ergebnis kommt
das Zürcher Mietgericht in seinem
Entscheid vom 2. August
2021. Primär verneint es die
Anwendbarkeit von Art. 119
OR bereits mangels Dauerhaftigkeit
der Unmöglichkeit. Zudem
geht es sekundär von einer
Verwendungsunmöglichkeit
und nicht von einer Zweckverfehlung
aus.8 Im konkreten Fall
wurde «die Gebrauchsüberlassung
des Mietobjekts durch die
Massnahmen des Bundesrats
... nicht beeinträchtigt, weshalb
die Klägerin ihre Hauptleistung
mit der Gebrauchsüberlassung
des Mietobjekts gehörig
erbracht hat».9
Herabsetzungsanspruch
wegen Mangel an der
Mietsache
Der Begriff des Mangels umfasst
nicht nur den eigentlichen
körperlichen Sachmangel,
sondern auch jede andere
Störung im vertragsgemässen
Gebrauch, inklusive Störungen
rechtlicher Natur.10 Entsprechend
vertritt ein Teil der Lehre
die Auffassung, dass die staatlich
angeordneten Betriebsschliessungen
als Mangel an
der Mietsache zu qualifizieren
seien und dementsprechend
ein Herabsetzungsanspruch
gewährt werden müsse.
Unseres Erachtens ist mit dem
deutschen Bundesgerichtshofs
zwischen objekt- und betriebsbezogenen
Umständen zu unterscheiden.
11 Die Verantwortung
des Vermieters beschränkt
sich hiernach einzig auf die
objektbezogenen Umstände,
namentlich solche, die die
Lage, Beschaffenheit oder den
Zustand des Mietobjekts betreffen.
12 Auch die schweizerische
Rechtsprechung anerkennt Herabsetzungsansprüche
bei objektbezogenen
Umständen wie
beispielsweise Lärm durch Bauvorhaben
in der Nachbarschaft
oder Fluglärm.13 Die behördlich
angeordneten Lockdowns sind
jedoch nicht als objektbezogene
Mängel an der Mietsache zu
Die beiden dargelegten
erstinstanzlichen Urteile
lassen auf die grundsätzliche
Bejahung eines
Mietzinsreduktionsanspruchs
unter Anwendung
der Rechtsfigur der
clausula rebus sic stantibus
schliessen.
10 Urteil des Bundesgerichts
4C.39/2003 vom 23. April 2003
E. 4.; HANS GIGER, in: Berner
Kommentar zum schweizerischen
Privatrecht, Obligationenrecht,
Die Miete, Art. 253–273c OR,
Art. 256–259i OR, Bern 2015,
Normspezifische Vorbemerkungen
zu Art. 258–259i N 38.
11 Urteil des BGH XII ZR 189/09 vom
13. Juli 2011, NZM 2011, 727 N 12.
12 PETER GÜNTER, Der Einfluss
öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen
auf mietvertragliche Vereinbarungen,
Risikoverteilung, Gestaltungsmöglichkeiten
der Mietvertragsparteien
und Rechtsstellung des Mieters bei
Nichterfüllung von Vermieterpflichten,
NZM 2016, S. 569 ff., S. 571.
13 Mietrechtspraxis/mp 3/87 S. 51 ff.,
Mietgericht VD vom 9. Dezember
1986; Mietrechtspraxis/mp 1/02 S.
29 ff., Mietgericht Bezirk Bülach vom
24. September 2001.
4 Urteil des Mietgerichts Zürich
MJ210008-L (ZMP 2021 Nr. 10)
vom 2. August 2021 E. 5.2.5 f.
5 Urteil des Mietgerichts Zürich
MJ210008-L (ZMP 2021 Nr. 10)
vom 2. August 2021 E. 3.5.
6 SEBASTIAN REICHLE/BERNHARD
STEHLE, a.a.O., Rz. 31 ff.
7 Urteil des Bundesgerichts
4C.34/2000 vom 24. April 2001 E. 4
(in BGE 127 III 300 nicht publ. Erw.).
8 Die Autoren teilen die diesbezügliche
Auffassung des Mietgerichts
(SEBASTIAN REICHLE/BERNHARD
STEHLE, a.a.O., Rz. 21 ff.). Vgl. zur
Unterscheidung von Verwendungsunmöglichkeit
und Zweckverfehlung
das Urteil des Mietgerichts Zürich
MJ210008-L (ZMP 2021 Nr. 10) vom
2. August 2021 E. 3.1.
9 Urteil des Mietgerichts Zürich
MJ210008-L (ZMP 2021 Nr. 10)
vom 2. August 2021. Wie bereits erwähnt
bedürfte es einer besonderen
«Nutzungszusicherung» seitens des
Mieters, damit eine Zweckverfehlung
und damit Unmöglichkeit vorliegen
könnte.