
Unternehmen können von
Extrembeispielen lernen
Essay* Die digitale Zukunft kann die
unternehmerische Realität grundlegend
verändern. Viele vertraute
Selbstverständlichkeiten und Verhaltensmuster
helfen etablierten Unternehmen
dann nicht mehr weiter oder
sie schaden ihnen sogar. Doch wie
können sich Unternehmen darauf
einstellen? Ein guter Weg ist es, von
«extremen» digitalen Organisationen
zu lernen, die völlig neu und anders
funktionieren, wie zum Beispiel Open-
Source-Software-Projekte. Denn was
heute fremd erscheint, kann morgen
schon normal sein.
Die digitale Reise
Wer bereits einmal in Japan (oder
einem
ähnlichen Land) war, der weiss,
dass viele unserer selbstverständlichen
Verhaltensweisen dort nicht oder ganz
anders funktionieren. Japan folgt einer
eigenen Logik, die wir erst begreifen
müssen, um uns zurechtzufinden.
Der Rucksack an gelernten Erfahrungen,
den wir aus dem eigenen Land
und der eigenen Vergangenheit mitbringen,
hilft uns dann nicht mehr
weiter, wir stossen an die Grenzen
des Bekannten. Vielmehr müssen wir
das Vertraute und uns selbst hinterfragen
und uns das Neue schrittweise
aneignen. Das ist oft mühsam, aber
auch spannend, und es kann sein, dass
wir nicht alles mögen, was uns neu begegnet.
Bekannte Pfade verlassen
Vielen Unternehmen geht es auf dem
Weg in eine digitale Zukunft ähnlich.
Denn schon jetzt zeigt sich, dass
die digitale Welt ganz anders funktioniert
als die analoge. Digitale Unternehmen
definieren die Spielregeln im
Wettbewerb und in der Zusammenarbeit
neu. So gibt es beispielsweise
keine «Economies of Scale» (Mengeneffekte)
mehr, auch formelle Hierarchien
oder Organisationsstrukturen
fehlen häufig in solchen Organisationen.
Oft ist das «Anderssein» sogar
die Ursache für den herausragenden
Erfolg digitaler Organisationen wie
Uber oder Google. Damit sich Unternehmen
in dieser Welt bewegen können,
müssen sie also bekannte Pfade
verlassen.
Das «andere» begreifen
Aber wie erkennen wir, was der richtige
Weg ist? Wie funktioniert das
digitale
Unternehmen der Zukunft?
Wie müssen Unternehmen sein, um
sich im digitalen Wettbewerb zu behaupten?
Um Antworten auf diese
Fragen zu finden, tendieren Unternehmen
häufig dazu, das Vertraute,
also das Bestehende, weiterzudenken
und zu verstärken. Sie machen aus der
«alten Perspektive» alles richtig und
letztlich scheitern sie daran. Geht es
um neue Technologien, dann sprechen
wir häufig von «Disruption»,
also einer Veränderung der grundlegenden
Erfolgslogik. Alte Rezepte
greifen in der neuen Welt nicht mehr.
Es braucht vielmehr neue Wege,
neue Kompetenzen, neue Geschäftsmodelle,
neue Denkweisen und neue
Selbstverständlichkeiten. Das ist unbequem
und unsicher – Eigenschaften,
die Unternehmen meiden. Wie
können sich Unternehmen darauf vorbereiten?
Wie kann man das Unfassbare
greifbar machen?
Software-Projekte als Vorbilder
Eine Möglichkeit ist, «andere», aus
heutiger Sicht noch oft als «extrem
»
empfundene digitale Organisationen
genauer
zu betrachten und zu analysieren.
In der digitalen Welt sind
Open-Source-Software-Entwicklungsprojekte
ein solches Beispiel. Diese
widersprechen der Funktionsweise
eines
«traditionellen» Unternehmens
in vielerlei Hinsicht. Sie dürften vor
diesem Hintergrund eigentlich gar
nicht existieren oder zumindest nicht
erfolgreich sein. Genau das Gegenteil
ist aber in der digitalen Welt der
Brennpunkt – #4.0
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SUBSTANZ