
Brennpunkt – #4.0
Fall. Das gibt uns die Gelegenheit,
von
ihnen
zu lernen.
In Open-Source-Software-Entwicklungsprojekten
arbeiten Programmierer
freiwillig an komplexen,
innovativen
und oft sehr erfolgreichen
Softwareprojekten aller Art.
Oft schliessen die Projekte «Marktlücken
», für die es keine kommerzielle
Software gibt. Das Linux Betriebssystem
oder der Apache Webserver
sind prominente Beispiele dafür.
Vieles ist jedoch anders als in traditionellen
Unternehmen. So erfolgt die
Zusammenarbeit ausschliesslich virtuell
über eine digitale Plattform und
ohne finanzielle Entlohnung der Teilnehmer.
Häufig ist eine Beteiligung anonym,
lediglich mithilfe eines «Nicknames
» oder einer E-Mail-Adresse
ausgewiesen. Auch das gemeinsam
entwickelte Software-Produkt steht
allen kostenlos im Internet zur Verfügung.
Was können Unternehmen von
diesem Beispiel lernen?
Anerkennung als Lohn
Die wichtigste Botschaft ist: Digitale
Organisationen brauchen Vieles nicht
mehr, das wir für selbstverständlich
halten. Dafür brauchen sie von anderen
Dingen mehr. Unter anderem
zeigt sich:
1. Nicht nur Geld ist eine Währung:
Obwohl die Teilnehmer an
Open-Source-Projekten keinen Lohn
erhalten, ist ihre Arbeit nicht «umsonst
». In der digitalen Welt gelten
(auch) andere Währungen wie Anerkennung,
Wertschätzung, ein gutes
Ergebnis, Lernen, oder sich einer
Sache voll und ganz widmen zu können.
Menschen möchten eben mehr
als Geld. Diese Aspekte sind auch in
Unternehmen wichtig.
2. Nicht nur formelle Strukturen koordinieren
Aktivitäten: Obwohl es keine
formelle Hierarchie oder Organisation
in Open-Source-Projekten gibt,
sind diese keineswegs chaotisch. Vielmehr
wird Stabilität durch eine starke
Kultur der Entwickler-Community,
durch ein hohes Mass an Fachwissen
und durch das gemeinsam entwickelte
Software-Produkt erzeugt. Nur wer
ausreichend Kenntnisse auf diesen
Gebieten mitbringt, kann sich an einem
Projekt beteiligen. Das wirkt wie
eine Auszeichnung und wie ein wichtiges
Rekrutierungsinstrument. Auch
Unternehmen kommen oft mit weniger
Formalisierung aus.
3. Nicht nur Vorgesetzte führen: Erstaunlicherweise
funktioniert das alles
weitgehend ohne Führung oder Führungskräfte.
Denn wer lässt sich ohne
Bezahlung Weisungen erteilen? Stattdessen
wirken sozialer Druck und soziale
Sanktionen in einem demokratischen
System. Und letztlich gewinnt
die bessere über die gute Lösung.
Auch Unternehmen werden heute demokratischer.
>> *Dr. Petra Kugler ist Professorin am
Kompetenzzentrum für Strategie und Management
des Instituts für Unternehmensführung.
Sie beschäftigt sich mit innovativen
Strategie- und Managementansätzen
in einer sich kontinuierlich verändernden
Umwelt.
Solche Projekte erscheinen uns heute
noch fremd oder «seltsam». Dennoch
lohnt es sich, sie genauer zu betrachten
und ernst zu nehmen. Denn extreme
Beispiele helfen uns, Charakteristika
und Erfolgsfaktoren eines
digitalen Unternehmens zu begreifen,
auch wenn dies dann weniger ausgeprägt
oder modifiziert umgesetzt
wird. Individuen und Unternehmen
müssen aber lernen, das Neue und
oft Fremde nicht sofort abzulehnen.
Wir laufen sonst Gefahr, dass das Bisherige
schnell zum Vergangenen wird.
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SUBSTANZ