
(Un)mögliche
Möglichkeiten
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SUBSTANZ
Essay*: Eine kritische Position zur Robotisierung
von Pflegesituationen.
Der «Hype» der Technisierung, Digitalisierung
und Robotisierung trifft
verzögert auf das Pflegewesen. Dennoch
scheinen die damit verbundenen
Erwartungen grösser und surrealer
zu sein. Die mit der «Pflege 4.0»
adressierten Themenfelder lösen bei
den potenziell Nutzenden und Anwendenden
nicht nur Begeisterungsstürme
aus. Vielmehr führen die
Technisierungsbestrebungen in der
Pflegeszene zu diversen Ängsten, Sorgen
und schlichtweg zur Frage nach
der Sinnhaftigkeit. Dies gilt besonders
in Bezug auf die «Robotisierung» der
Pflege.
Die damit verbundenen gesellschaftlichen
sowie inter- und intraprofessionellen
Debatten über die (un)möglichen
Möglichkeiten offenbaren, dass
Fiktion und Realität zu einem Hybridprodukt
verschmelzen. Es ist kaum
noch möglich, zwischen fiktiver Realität
und realer Fiktion zu unterscheiden.
Die derzeitigen Marketing- und
Imagekampagnen namhafter Roboterhersteller
sowie die mitunter unseriös
wirkenden Darstellungen von
Medienberichten vermitteln eine fiktive
Realität, in der autonome und intelligente
Pflegeroboter «existieren».
In diesen, unseren Zeiten könnte
man hier von «alternativen Fakten»
sprechen.
Sie gehen von einem verkürzten,
eindimensionalen Verständnis
darüber aus, was die berufliche
Pflege ist, bzw. zukünftig sein wird,
und was robotische Artefakte pflegerisch
leisten können. Kurz: Es existiert
bisher ein deutliches Mismatch zwischen
dem technischen, robotischen
Angebot und dem tatsächlichen Bedarf
in der Pflege.
Kein Ersatz für
Pflegefachpersonen
Die professionelle Pflege gehört zu jenen
Berufsfeldern, die sich eben nicht
«robotisieren» lassen, da sich die individualisierte
Pflege und Sorge um
fremde, andere soziale «Leiber» und
«Körper» nicht durch Algorithmen
abbilden lassen. Denn: Jede – noch
so banal wirkende – Pflegesituation
ist aufgrund ihres «Spiels» zwischen
Wahrnehmen, Beobachten, Deuten
und pflegerischem (sozialen) Handeln
so komplex, dass sie einmalig
und (vermutlich) unprogrammierbar
bleibt. Sogenannte «Pflegeroboter»
sind fiktiv und werden Pflegefachpersonen
– ausgehend von unserem derzeitigen
Pflege- und Sorgeverständnis
– nicht ersetzen können.
Um eben dieses Pflege- und Sorgeverständnis
sollten wir uns als Zivilgesellschaft
allerdings sorgen: Wenn
einerseits für andere Sorgende, beispielsweise
Pflegefachpersonen, aufgrund
der zunehmenden gesellschaftlichen
Ökonomisierung wie
Maschinen agieren und andererseits
die ökonomisierte Gesellschaft
Maschinen (er)zeugt, die menschenähnlich
agieren und somit für Sorge
sorgen – dann scheint etwas nicht zu
stimmen.
Diesem Paradoxon der Moderne
(Gross 2003) gilt es entschieden entgegenzuwirken,
indem wir den längst
überfälligen Diskurs zur zukünftigen
Sorge und Pflege führen. Es ist unbestritten,
dass unser formelles und
informelles Pflegewesen auf eine veritable
Krise zusteuert. Daher sollte
die Zivilgesellschaft zunächst festlegen,
welche Pflege- und Sorgekultur
sie zukünftig haben möchte, um
dann bestimmen zu können, welche
Art von Technik sie dabei wie unterstützen
kann.
Derzeit wird ausschliesslich ein kapitalistisch
motivierter Technikdiskurs
geführt, der die Technik für die Pflege
der Zukunft bestimmt und von dem
bereits angedeuteten Substitutionsmoment
ausgeht. Dieses Moment
stellt eine unmögliche Möglichkeit dar,
die verstärkt soziale Pflegeungleichheiten
produzieren wird und den
Diskurs zur Entfremdungssorge im
Pflegewesen
befeuert: «We don’t want
Brennpunkt – #4.0